Pause zwischen Bunga-Bunga-Partys und den Regierungsgeschäften: Silvio Berlusconi (gespielt von Toni Servillo).

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Ein schneeweißes Lamm tappt durch einen Türspalt in einen menschenleeren Prachtbau auf Sardinien. Fasziniert bleibt es vor einem Fernseher stehen, der eine alberne Mischung aus Quizshow und Werbesendung zeigt. Die Klimaanlage der Villa springt an. Das Lamm fängt an zu zittern. Doch es kann den Blick nicht von dem Bildschirm wenden – von dem blonden Showgirl, den blinkenden Studiolichtern. Die Temperatur sinkt immer weiter Richtung Gefrierpunkt. Das Lamm blökt erbärmlich. Und fällt tot um.

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Paolo Sorrentinos neuestes Werk wird als Film über Silvio Berlusconi vermarktet, aber er nennt ihn nicht "Lui" ("Er"), wie der Medientycoon und vierfache italienische Ministerpräsident im Film meist nur ehrfurchtsvoll bezeichnet wird. Stattdessen heißt er Loro ("Sie").

Kriminelle Energie

Wer mit dieser dritten Person Plural gemeint ist, wird im Film nicht explizit gesagt. Ist es das "einfache Volk", die weißen Lämmer, die – wie in der Anfangsszene von Loro – von Berlusconis Privatfernsehsendern so lange hypnotisiert wurden, bis sie gewissermaßen willenlos in seine Falle gingen? Oder sind es diejenigen, die sich mit Berechnung und zum Teil krimineller Energie ihm freudig andienten? Für sie finden Sorrentino und sein Co-Drehbuchautor Umberto Contarello in einer späteren Szene eine weitere tierische Allegorie: Es sind die Ratten.

Eine solche Ratte ist Sergio Morra. Er nennt sich "Talentscout", ist aber nicht viel mehr als ein Edelzuhälter. Morra setzt alles daran, in den Orbit von "ihm" zu kommen. Der junge, skrupellose Mann schmeichelt, er erpresst und er mietet eine Villa in der Nachbarschaft von Berlusconis Anwesen auf Sardinien an. Dort wartet er mit ein paar Dutzend leicht bis gar nicht bekleideter hübscher Frauen darauf, dass der berühmteste Womanizer des Landes den Köder schluckt.

Doch Berlusconi (gespielt von Toni Servillo) hat zunächst anderes zu tun. Er versucht seine Frau Veronica zurückzuerobern, die sich völlig von ihm entfremdet hat. Erst als sie auf einen Selbstfindungstrip nach Südostasien verschwindet, hat Berlusconi wieder freie Fahrt für seine berüchtigten Bunga-Bunga-Partys. Zumal das größte Aphrodisiakum ihn wieder antreibt: die Macht – denn nach einer kurzen Regierungspause ist es ihm mit allerlei unlauteren Mitteln gelungen, erneut Ministerpräsident zu werden.

Gefangene ihrer Schwächen

Soviel Koks in Loro auch zur Musik von den Stooges oder LCD Soundsystem in immer wie- derkehrenden Montagesequenzen von Partys durch Nasenlöcher gezogen und ins Zahnfleisch gerieben wird, Macht ist hier die ultimative Droge. Das kennt man schon aus Sorrentinos Il Divo, seinem Film über den siebenfachen italienischen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti. Figuren wie Andreotti, Berlusconi und Morra sind typische Protagonisten der Filme des 48-Jährigen. Denn so gut wie immer geht es bei ihm um mächtige Männer, die Gefangene ihrer Schwächen und Gewohnheiten sind. Und um die Vergänglichkeit ihres Ruhms sowie des Lebens im Allgemeinen.

Vor der ist auch Berlusconi nicht gefeit. In einer der besten Szenen des Films lässt ihn eine Studentin abblitzen mit dem Hinweis, er rieche nach "altem Mann". Sie meint es nicht böse, eher mitleidig. Was die Demütigung noch verheerender macht.

Man könnte tatsächlich fast Mitleid haben mit diesem gewieften Taktierer und begnadeten Verkäufer, der süchtig danach ist, bewundert zu werden, und der jede Niederlage maskenhaft weglächelt – zumindest solange der Film in der Welt der Mächtigen und ihrer Speichellecker weilt. Erst sehr spät – in einer Art Coda – wird enthüllt, was Berlusconis Politik in der Welt der "Lämmer" für Verheerungen anrichtet.

Berlusconi-Glitzerwelt

Dem Film wurde bereits vorgeworfen, er gehe der Berlusconi-Glitzerwelt auf den Leim mit seinen immer wiederkehrenden süffig komponierten Sequenzen junger, leicht bekleideter Frauen auf Poolpartys. Doch erst in ihren kurz getakteten Wiederholungen bekommen sie etwas Manisches, Leeres, das die Person Berlusconi und die Kultur, die er verkörpert, gewissermaßen erfahrbar macht. Dennoch: Loro wirkt seltsam zerrissen. Sorrentinos Filme sind immer elliptisch, eher um Figuren und visuelle Ideen aufgebaut als um Geschichten.

In Interviews betont der Regisseur gerne, es sei ihm wichtig, dass seine Figuren nicht zu "Gefangenen eines Plots" werden. Hier irrt er allerdings etwas ziellos zwischen Berlusconi und Morra umher – vielleicht ist das aber auch nur ein Problem der internationalen Version von Loro. In Italien kam der Film als ein um insgesamt eine Stunde längerer Zweiteiler ins Kino – man kann nur hoffen, dass die ungekürzte Version jenseits von Berlusconis Heimatland zumindest fürs Heimkino veröffentlicht wird. (Sven von Reden, 9.1.2019)