In den Stellungnahmen fällt das Urteil über die neue Mindestsicherung vernichtend aus.

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Wien – Der von der Bundesregierung geplante Rückbau der bedarfsorientierten Mindestsicherung zur "Sozialhilfe", der Einschnitte etwa für Mehrkindfamilien und Zuwanderer mit schlechten Deutschkenntnissen bringt, stößt weiter auf vielstimmige Kritik. In der am Donnerstag zu Ende gehenden Begutachtung sprachen sich nun auch SOS-Mitmensch, das Rote Kreuz oder die Kinder- und Jugendanwaltschaften dagegen aus.

"Der Gesetzesentwurf in seiner vorliegenden Form bedeutet die Abschaffung von sozialen Mindeststandards und damit die Abkehr vom Gedanken einer menschenwürdigen Mindestsicherung für bedürftige Menschen", protestierte etwa SOS Mitmensch in seiner Stellungnahme: "Menschen werden wieder zu angsterfüllten Bittstellern ohne jegliche Absicherung gemacht." Es drohe die Verschärfung von Armut in Österreich und ein Fleckerlteppich unterschiedlich niedriger Sozialhilfeniveaus je nach Bundesland.

Befremdlich, systemwidrig

Scharfe Kritik kam auch vom Österreichischen Roten Kreuz, das sich gegen das erklärte Regierungsziel wandte, die Zuwanderung in das österreichische Sozialsystem zu dämpfen: "Sozialhilfe (Mindestsicherung) als Steuerungsmittel für fremdenpolizeiliche Ziele zu nutzen, ist dem Grundgedanken des österreichischen Sozialstaates bis dato nicht immanent und erscheint dem ÖRK daher befremdlich und systemwidrig. "

SOS-Kinderdorf warnte, dass die im Entwurf geplanten Einschnitte zu einem Anstieg der Zahl von in Armut lebenden Kindern führen würden. Dies werde mittelfristig eine erhöhte Belastung der Gesundheits- und Sozialbudgets bedeuten.

Missachtung des Kindeswohls

Noch schärfer formulierten es die Kinder- und Jugendanwaltschaften der Bundesländer in einer gemeinsamen Stellungnahme. Der Entwurf stelle "in seiner Gesamtheit eine Missachtung des Prinzips der Kindeswohlvorrangigkeit dar". Auch die vorgesehenen Ausschlüsse bestimmter Personengruppen (u.a. subsidiär Schutzberechtigte und Verurteilte) von der Sozialhilfe führten "zum Entzug ihrer Existenzgrundlage und in direkter Weise auch zu einer Schlechterstellung der haushaltszugehörigen Kinder".

Auch die Armutskonferenz hat der Reform der Mindestsicherung ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt. "Die neue Sozialhilfe kann Armut nicht bekämpfen", erklärte etwa Vera Hinterdorfer von der "Plattform Sichtbar Werden" bei der Pressekonferenz am Mittwoch. Auch Andreas Zembaty vom Verein Neustart forderte nach Ende der Begutachtung noch Änderungen.

Gefahr für sozialen Zusammenhalt

In der Armutskonferenz sind 40 soziale Organisationen vertreten, darunter etwa die Volkshilfe oder pro mente. Erich Fenninger, Direktor der Volkshilfe, betonte – wohl mit Blick auf die aktuelle Diskussion über die FPÖ-Attacken auf die Caritas, dass man keine Opposition sei und keinen Profit erziele. Die "Abschaffung" der Mindestsicherung und Implementierung der Sozialhilfe zeige aber, "dass der Regierung Kinder nicht das Mindeste wert sind". Die Neuregelung würde deren Zukunft und den sozialen Zusammenhalt in der Gesellschaft gefährden, kritisierte Fenninger.

Fenninger gab weiters zu bedenken, dass sich die Kosten für die Mindestsicherung jährlich auf 900 Millionen Euro belaufen würden, dies seien nur 0,9 Prozent der Sozialausgaben. "Warum konzentriert man sich auf die Ärmsten?", forderte er Garantien statt Almosen. Verärgert zeigte er sich über die Staffelung für Kinder, denn ab dem dritten Kind gebe es nur noch 1,50 Euro pro Tag.

Doris Pettighofer von der Plattform für Alleinerziehende wies darauf hin, dass der Bonus für Alleinerziehende bei 30 Prozent der Kinder nicht greife: "Es wird eine große Ungleichheit zwischen den Familien hergestellt." Die geplanten Kann-Bestimmungen sind für sie auch "völlig unverständlich", denn dies treibe Familien weiter in die Armut.

Österreich habe sich mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention dazu verpflichtet, Menschen mit Behinderung ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, erklärte Albert Brandstätter von der Lebenshilfe. Die nächste Staatenprüfung würde demnach eine Verschlechterung aufzeigen. Er kritisierte unter anderem, dass Menschen mit intellektuellen Behinderungen in Wohngemeinschaften starke Einbußen drohen und forderte, dass diese Personen als eigene Bedarfsgemeinschaft gelten.

Rückfallvermeidung statt Vergeltung

Weiters soll künftig Straftätern, die zu mehr als sechs Monaten bedingter oder unbedingter Haft verurteilt werden, für die Dauer der Freiheitsstrafe auch die Mindestsicherung gestrichen werden. Laut Andreas Zembaty von Neustart sind von dieser Maßnahme 14.000 Personen betroffen und er findet es "irritierend", dass damit vom Sozialministerium "Nebenstrafen" eingeführt werden sollen. Der Zweck einer Strafe sei nicht, Vergeltung zu üben, sondern einen Rückfall zu verhindern – Zembaty fürchtet nun aber genau das. Auch die Justiz selbst habe bereits vor steigender Kriminalität gewarnt, so Zembaty. Er forderte daher, gemeinsam mit der Justiz alternative Vorschläge zu erarbeiten. Eine Klage könnte dann die letzte Möglichkeit sein, sollte es keine Änderungen mehr geben, meinte Zembaty.

Auch Judith Pühringer von "arbeit plus" monierte, dass die Neuregelung kein geeignetes Mittel für die Wiedereingliederung ins Berufsleben sei. Zynisch sei zudem die Forderung nach einem bestimmten Sprachniveau bei gleichzeitiger Kürzung beim AMS.

Mindestgrenze

Bei den 863 Euro sollte es sich jedenfalls nicht um den Höchstbetrag, sondern die Mindestgrenze handeln, forderte Martin Schenk von der Armutskonferenz. Er fürchtet, dass sich die Chance für tausende Kinder verschlechtert: "Das können nicht die Werte sein, die uns stark machen." Er kritisiert vor allem auch die Zersplitterung auf neun Bundesländer und ortet eine Bevormundung der Betroffenen. (APA, 9.1.2019)

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