Gegen die Wand: Mit spektakulären Crashtests werden die unkaputtbaren Betonelemente getestet.

Foto: Deltabloc

Am Werkstoff Beton scheiden sich die Geister. Die einen schätzen ihn als einfach zu verarbeitendes Material mit schier endlosen Gestaltungsmöglichkeiten. Die anderen verdammen ihn als Symbol eines lieblosen Huschpfusch-Bauparadigmas ohne ästhetische Ansprüche. Für die Wissenschafterin Ildiko Merta vom Institut für Hochbau und Technologie der TU Wien ist er in erster Linie ein faszinierendes Forschungsobjekt. Welche Potenziale noch immer in dem Baustoff stecken, der bereits in der Antike verwendet wurde, hat sie unlängst in einem Forschungsprojekt bewiesen.

Im K1-Kompetenzzentrum für elektrochemische Oberflächentechnologie, das durch das Comet-Programm von Wissenschafts- und Wirtschaftsministerium gefördert wird, haben Merta und ihr Team eine völlig neue Betonmischung entwickelt, die zur Fertigung von Leitwänden auf Autobahnen eingesetzt wird. Herkömmliche Betonleitwände haben nämlich die unangenehme Eigenschaft, dass bei einem Crash mehrere Kilogramm schwere Stücke herausbrechen können. Diese fliegen dann im ungünstigsten Fall unkontrolliert auf die Gegenfahrbahn.

Vom Labor auf die Autobahn

Der an der TU Wien entwickelte neue Beton hingegen kann auch bei einem extremen Anprall eines Lkws oder Sattelschleppers nicht bersten. "Bei einem Aufprall durch ein Fahrzeug treten in den Betonwänden hohe dynamische Belastungen auf", erklärt die Forscherin. "Es war deshalb die Aufgabe, die Zähigkeit des Materials zu erhöhen und damit seine Fähigkeit, Energie zu absorbieren."

Das ist nicht trivial, da Beton grundsätzlich ein spröder und inhomogener Baustoff ist, der aus vielen Partikeln und Komponenten besteht. Gesucht war eine Betonmischung, die beim Aufprall innen zusammengestaucht wird bzw. innerlich kontrolliert bricht, ohne dass dabei Stücke herausgerissen werden. Da die Entwicklung in Kooperation mit einem Firmenpartner erfolgte, unterliegt die genaue Rezeptur des neuen Materials noch für einige Zeit der Geheimhaltung. "Es ist eine spezielle Mischung aus Wasser, Zement, Kies und anderen Stoffen in unterschiedlichen Korngrößen" – mehr verrät Merta nicht.

Pendeltest mit Stahlgewicht

Materialforschung ist im Allgemeinen ein Tüfteln und Ausprobieren, bis die gewünschte Zusammensetzung gefunden ist. Ganz bei null fängt man dennoch nie an: "Die Entwicklung basiert auf zehn bis 15 Jahren Forschungserfahrung mit Beton, speziell mit seiner Zähigkeit, Sprödigkeit und Energieabsorptionsfähigkeit", sagt Merta.

Erste Untersuchungen an Testkörpern in kleinem Maßstab schränkten die Kandidaten bereits ein. Mit Elementen in Originalgröße aus den aussichtsreichsten Mischungen wurde ein Pendeltest durchgeführt. Dabei fällt ein 150 Kilogramm schweres Stahlgewicht in definiertem Winkel auf die Betonkörper. "Bei einem echten Crash gibt es zuerst einen Frontanprall, der die Leitwand bereits vorschädigt", sagt Merta. "Darauf folgt typischerweise ein Anprall mit dem Heck. Das muss im Pendeltest simuliert werden."

Verschärfte Rechtslage

Zuletzt fand ein realer Crashtest auf Österreichs einzigem Crashtest-Gelände in Allhaming bei Linz statt. Dabei wurden ein 38 Tonnen schwerer Sattelschlepper mit 60 Stundenkilometern und ein 13 Tonnen schwerer Bus mit 70 Stundenkilometern gegen die Betonelemente gelenkt. Resultat: Es splitterten keine Bruchstücke ab. Dieses Ergebnis erfüllt nicht nur die Erwartungen der Entwicklerteams, sondern auch die einschlägigen Sicherheitsnormen.

Denn künftig sollen Leitwände, bei denen Bruchstücke mit einem bestimmten Mindestgewicht abbrechen, keine Zulassung auf europäischen Autobahnen mehr erhalten. Der Wiener Beton ist für diese Verschärfung der Rechtslage schon jetzt gerüstet. Zudem hat die kommerzielle Vermarktung bereits begonnen: Laut Angaben des Firmenpartners Deltabloc, eines internationalen Entwicklers von Fahrzeugrückhaltesystemen, sind Leitwände aus dem neuen Material derzeit in Spanien und Deutschland im Einsatz. (Raimund Lang, 14.1.2019)