Fototermin 2017: Drei Tage nach seiner Angelobung besuchte Kanzler Kurz den Suppenbus der Caritas.

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Eine Schmerzgrenze wurde überschritten: Kurier und Krone, Kirche und Konrad – unisono die Reaktionen auf die NPO-Schelte der FPÖ-Politiker Gudenus und Hafenecker: "Herzlose Rotzbuben". Wenig überraschend, sind doch Non-Profit-Organisationen (NPOs) eng mit Kultur und Geschichte Österreichs verbunden, fast wie die Spanische Hofreitschule und die Sängerknaben, und dürfen nicht ungestraft kritisiert werden. Die Aufregung zeigt aber auch, wie schief das Bild ist, das sich Politik und Öffentlichkeit von NPOs machen. Denn mit einem haben die FPÖ-Politiker recht: NPOs sind wirtschaftlich hochrelevant – eine eigene Industrie, wenn man so will –, sie sind nicht bloß die selbstlos Guten, sondern haben als Organisationen notwendigerweise Selbsterhaltungs- und Expansionsinteressen. Unabhängig davon ist eine moderne Gesellschaft ohne NPOs undenkbar.

Wie in Deutschland und der Schweiz entwickelte sich in Österreich ein korporatistischer Wohlfahrtsstaat: Der öffentliche Sektor finanziert über Steuern und Sozialversicherungsbeiträge soziale Dienstleistungen, und private NPOs erbringen viele davon. Nicht nur im Asylwesen, auch bei der Rettung, der Feuerwehr und in der Altenpflege. Das ist grosso modo effizienter als die Bereitstellung durch den Staat wie in sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaaten. Jedenfalls bewegt sich Schweden gerade in Richtung weniger Staat, mehr private NPOs. Das dritte Modell ist das liberale angloamerikanische: Auch hier sind NPOs wichtig, werden aber vor allem privat über Spenden und Stiftungen finanziert.

Wachstumsindustrie NPOs

Der Non-Profit-Sektor gewinnt immer größere wirtschaftliche Relevanz: NPOs wie Rotes Kreuz und Caritas beschäftigen je mehr als 10.000 Menschen und 70.000 Freiwillige, in Summe arbeiten knapp sieben Prozent aller Arbeitnehmer Österreichs in NPOs – Tendenz steigend. Der von NPOs ganz wesentlich geprägte Gesundheits- und Sozialbereich ist nach dem Handel die beschäftigungsstärkste Branche des Landes.

Je höher entwickelt eine Volkswirtschaft, desto mehr Menschen arbeiten in NPOs. In den Niederlanden sind es knapp 15 Prozent. Das hat damit zu tun, dass in postindustriellen Ökonomien die Nachfrage nach sozialen Dienstleistungen aufgrund von Überalterung, Zuwanderung und mehr Bedarf an Kinderbetreuung, Bildung und Gesundheit rasant wächst. An diesen Megatrends wird das populistische Gegenfeuer nichts ändern. Damit werden NPOs ein zentraler Wirtschaftszweig.

Keine NPOs mit FPÖ-Nähe

In Deutschland sind Caritas und Diakonie mit je 600.000 Arbeitnehmern die größten privaten Arbeitgeber, größer als Siemens oder Volkswagen. Will man keine ineffizientere und dem wirtschaftspolitischen Zeitgeist zuwiderlaufende staatliche und keine kapitalistisch-gewinnorientierte Leistungserstellung, dann führt am Wachstum der NPOs kein Weg vorbei. Wachstumsorientierung kann man NPOs zuschreiben, Profitgier nicht: NPOs müssen Gewinne in ihren gemeinnützigen Zweck reinvestieren.

Dass sich die FPÖ mit NPOs schwertut, hat historische Gründe. Der Non-Profit-Sektor in Österreich spiegelt die Grundpfeiler der Zweiten Republik: Föderalismus, Sozialpartnerschaft und Kirchen, weltanschauliche Lager – Alpenverein und Naturfreunde, Union und Askö, Hilfswerk und Volkshilfe und zig mehr dieser Zwillinge. Obwohl sie kaum mehr als Vorfeldorganisationen des bürgerlichen oder sozialdemokratischen Lagers agieren, symbolisieren sie doch jene Kultur der Zweiten Republik, die der FPÖ zuwider ist. Nirgendwo in den großen Bereichen Soziales, Sport, Kultur oder Bildung finden sich relevante NPOs mit FPÖ-Nähe.

Sozialer Herrgottswinkel

NPOs sind nicht nur Dienstleister – damit hätte die Politik ja kein Problem –, sondern auch Sprachrohr und Anwalt jener Menschen, die gesellschaftlich an den Rand gedrängt werden und sich selbst nur schwer Gehör verschaffen können. "Stimme" oder "Anwaltschaft" heißt diese Funktion. NPOs vertreten nicht nur Interessen, sondern auch grundsätzliche Werte – etwa in der Asylpolitik, bei den Menschenrechten, aber auch im Umwelt- oder Tierschutz.

Diese Rolle von NPOs als zivilgesellschaftliche Akteure ist unerlässlich für demokratische Systeme und kompensiert gemeinsam mit den Medien und einer kritischen Öffentlichkeit die Schwächen repräsentativer Demokratien, selten zur hellen Freude der herrschenden Parteien. Bisherige Regierungen zeigten aber die Weisheit der Zurückhaltung und gewährten NPOs Mitwirkungsrecht in Legislative und Verwaltung.

Schließlich haben die meisten von uns mit NPOs zu tun: als Kunden, als Freiwillige, als Mitglieder, als Spender. 30 Prozent der Erwachsenen engagieren sich als Freiwillige, 60 Prozent spenden an NPOs, die Zahl der Vereinsmitgliedschaften dürfte nicht viel unter vier Millionen liegen. NPOs sorgen damit für gesellschaftliche Teilhabe, sie geben uns das angenehme Gefühl, dass wir mitbestimmen und mitreden können, und sei es nur bei der örtlichen Feuerwehr. Das ist unser sozialer Herrgottswinkel, der ist sakrosankt. (Michael Meyer, 9.1.2019)