Bubenhaftes Antlitz, wenig sittliche Kommunikation: Joachim Son-Forget.

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Paris – Er ist so etwas wie der Harry Potter der französischen Politik. Der Vollwaise Joachim Son-Forget hat den Ruf eines talentierten, wenn nicht brillanten jungen Mannes, der als Radiologe arbeitet, mit seinem Cembalo Solokonzerte gibt und daneben noch Karate betreibt. 1983 in Südkorea geboren und von unbekannten Eltern sogleich ausgesetzt, wurde er von einem französischen Paar adoptiert. Er wuchs in Langres (Ostfrankreich) auf und ist zum zweiten Mal verheiratet; heute pendelt er zwischen seiner Lausanner Klinik und Paris, wo er seit 2017 als Vertreter der Macron-Partei "La République en marche" (LRM) in der Nationalversammlung sitzt.

Sein Name und mehr noch sein Konterfei sind heute in ganz Frankreich bekannt, allerdings nicht so sehr wegen seiner parlamentarischen Vorstöße. Furore macht der 35-jährige Abgeordnete in den sozialen Medien, wo er unter anderem mit einem Leuchtstab à la "Star Wars" herumfuchtetelte. Das entsprechende Video schauten sich über eine Million Leute an. Aufsehen erregte das Mitglied der angesehenen außenpolitischen Kommission der Nationalversammlung auch mit rabiaten Twitter-Sprüchen; dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump bedeutete er nach dessen Kritik an den Pariser Gewaltszenen etwa: "La France kisses your ass", höflich übersetzt: Du kannst Frankreich mal.

"Schminktopf"

Der Spezialist in kognitiver Psychologie – wie es sein Lebenslauf besagt – kandidierte aber auch schon ganz seriös für den Vorsitz seiner Partei LRM. Gegen Macrons offiziellen Kandidaten hatte er keine Chance, doch erhielt er immerhin 18 Prozent der Stimmen. Zum Eklat kam es im Dezember, als der rührige Abgeordnete eine grüne Senatorin mit dem Twitter-Spruch beleidigte, sie sei ein wandelnder "Schminktopf". Selbst Parteifreunde prangerten daraufhin seinen "Sexismus" und seine "Vulgarität" an und erinnerten daran, dass er schon Verständnis für einen homophoben Schausteller geäußert habe. Die Fraktion gab bekannt, sie werde sich Mitte Jänner den Fall Son-Forget vorknöpfen. Er kam ihr aber vor Neujahr zuvor und gab seinen Austritt aus der Macron-Partei bekannt.

Diese Woche hat er angekündigt, eine Partei namens "Je Suis Français et Européen" zu gründen. Deren Kürzel JSF stimmt mit den Initialen Son-Forgets überein, wie es Emmanuel Macron mit seiner Bewegung "En Marche" vorgemacht hatte. Nach gut zwei Jahren an Macrons Seite meint der abtrünnige Mitstreiter heute, die LRM sei schon "veraltet", weil Teil der Pariser Elite geworden. Den gleichen Diskurs führen derzeit die Gelbwesten, die ihrerseits die etablierten Kanäle umgehen und meist nur noch über die sozialen Medien kommunizieren.

Aspirationen auf Präsidentschaftswahlkampf

In seinen intellektuell verbrämten Wortmeldungen, die auch in der angesehenen Zeitung "Le Monde" erscheinen, kritisiert Son-Forget den "Zerrspiegel" und die "Post-Wahrheit" der digitalen Medien. Bei seinen infantil-narzisstischen Auftritten verwechselt er aber selbst Posse und Politik, Bildschirm und Realität: Im Internet zeigt er sich einmal in einer Fotomontage grinsend in einer WC-Schüssel, dann wieder piekfein in Anzug und Krawatte neben einer Frankreich-Flagge – um seine Aspirationen auf den Präsidentschaftswahlkampf 2022 anzumelden.

Seine Tiraden gegen die angeblich verschworenen Pariser Eliten passen zu den Twitter-Attacken, Shitstorms und Komplotttheorien im Netz. Oft von rassistischen oder antisemitischen Untertönen durchzogen, stacheln sie zweifellos auch die aktuelle Gewalt auf den Pariser Boulevards an. In den Schnellverfahren der Justiz zeigt sich, dass gerade die minderjährigen Gelbwesten der Facebook-Generation erst nach ihrer Verurteilung zu monatelangen Haftstrafen realisieren, welche Sachschäden sie entlang der Champs-Elysées überhaupt angerichtet haben. Zu bezweifeln ist auch, ob alle Twitter-Fans von Son-Forget die Ironie seines "Star Wars"-Auftritts erkannten, zu dem er notierte: "Am Schluss wird eh alles mit dem Laserschwert ausgetragen."

Mit seinen digitalen Attacken hat der extravagante Parlamentarier zwar seine angestammte Partei verloren. In der Woche nach seinem LRM-Austritt hatten sich die Eingeschriebenen auf seinem Twitter-Konto dafür auf fast 60.000 verzehnfacht. Offensichtlich wiegt das heute mehr als ein Abgeordnetenmandat in der französischen Nationalversammlung. (Stefan Brändle, 10.1.2019)