Kanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache bei der Regierungsklausur in Mauerbach.

Foto: Christian Fischer

Mauerbach/Wien – Bei der Regierungsklausur in der tiefverschneiten Wienerwaldgemeinde Mauerbach wetterte am Freitag Vizekanzler und FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache ohne Rücksicht auf Verluste gegen die rot-grüne Bundeshauptstadt: Als "Förderprogramm tschetschenischer Großfamilien" bezeichnete er die Weigerung Wiens, die neue Mindestsicherung der Regierung umzusetzen. 70 Prozent der Bezieher hätten Migrationshintergrund, rechnete Strache vor. Dass sich Rot-Grün nicht an die Vorgaben des Bundes halten wolle, halte er für verantwortungslos: "Wer so ein politisches Verständnis hat, sollte zurücktreten."

Hintergrund: Sozialstadtrat Peter Hacker (SPÖ) und die Wiener Grünen-Chefin Birgit Hebein hatten der Koalition tags zuvor soziale Kälte attestiert und verkündet, dass man in Wien auch weiterhin für "Kinder, Wohnungs- und Hoffnungslose" da sein werde.

Aufstehen in der Früh

Umgehend erklärte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) am Donnerstag in Anspielung auf die dortigen Empfänger der Sozialhilfe, dass "in vielen Familien in der Früh nur mehr die Kinder aufstehen, weil die Eltern nicht arbeiten gehen". Am Ende der Woche legte auch Kurz noch einmal nach: Wien kämpfe mit der bundesweit höchsten Arbeitslosigkeit, habe die meisten Mindestsicherungsbezieher und verzeichne die größte Zahl an Migranten, die in das Sozialsystem zuwandern würden, bilanzierte der Kanzler. Nun müsse die Regierung Wien helfen, eine Trendwende einzuleiten, erklärt er.

Der Gegenschlag ließ nicht lange auf sich warten: Kurz setze seine "letztklassigen Angriffe" gegen die Wienerinnen und Wiener fort, schimpfte Wiens SPÖ-Landesparteisekretärin Barbara Novak. Finanzstadtrat Peter Hanke (ebenfalls SPÖ) verwies auf die höchste Wirtschaftsleistung in Österreich und konterte ebenfalls mit Zahlen: "Mit Dezember 2018 verzeichnete die Bundeshauptstadt mit rund 844.000 Beschäftigten einen Dezember-Höchstwert in der Zweiten Republik." Die Arbeitslosigkeit sinke seit zwei Jahren – und das, obwohl die Regierung "in der Arbeitsmarktpolitik jeden Tag Steine in den Weg" lege.

Wirtschaftskammer frohlockt

Dazu brachte das Getöse der Koalition auch am letzten Tag der Begutachtung die vielen Kritiker ihrer Reform nicht zum Verstummen. Besonders die Einschränkungen für Kinder, subsidiär Schutzberechtigte und bedingt Verurteilte stießen auf Widerstand. Einzig die Wirtschaftskammer frohlockte über die künftigen "Anreize", dass Bezieher "vermehrt Arbeit aufnehmen".

Nicht nur der Städtebund, dessen Vorsitzender niemand Geringerer als Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) ist, äußerte sich besorgt und forderte eine Überarbeitung des Gesetzesentwurfes ("unausgegoren", "verfehlt die Bekämpfung von Armut"). Auch aus ÖVP-dominierten Ländern regte sich Widerstand. Niederösterreich verlangt, dass den Ländern die Mehrkosten durch die Reform abgegolten werden. Wie die Steiermark ist auch der Verfassungsdienst von Tirols Landesregierung skeptisch, dass subsidiär Schutzberechtigten die Sozialhilfe gestrichen werden soll – es sei fraglich, ob dies im Einklang mit der EU-Flüchtlings-Anerkennungsrichtlinie stehe.

Unmut der Länder

Und wie schon andere Bundesländer zuvor beklagte auch Tirol, dass den Ländern generell zu wenig Spielraum gelassen werde: Dass ein Grundsatzgesetz Obergrenzen pro Monat und Person vorgibt, scheine "nicht unproblematisch".

Der Vorsitzende der Landeshauptleutekonferenz, der Kärntner Peter Kaiser (SPÖ), geht davon aus, dass die Regierung die geplante Neuregelung noch aufschnüren wird. "Nach so viel Kritik" glaubt er, dass die Regierung doch noch eine verfassungskonforme Lösung vorlegen werde, die auch die Bedürfnisse der Hilfsbedürftigen berücksichtigt und Armut lindert, sagte Kaiser am Freitag in der "ZiB2".

Selbst aus dem Justizministerium kam Kritik – und zwar an der Streichung der Mindestsicherung für die Dauer der Freiheitsstrafen von Straftätern, die zu sechs Monaten oder mehr bedingter oder unbedingter Haft verurteilt werden. In der Stellungsnahme des Justizressorts von Josef Moser (ÖVP) heißt es: "Es bedarf (...) einer besonderen sachlichen Begründung, weshalb trotz einer Entscheidung eines Gerichtes, eine Strafe nachzusehen, der Ausschluss von Leistungen der Sozialhilfe als adäquate öffentliche Sanktionswirkung erforderlich ist."

Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) erklärte zwar, dass es hier Änderungen geben werde – auf Details wollte sich die Ministerin bei der Regierungsklausur aber nicht festlegen, denn: Man müsse zuerst die Stellungnahmen sichten.

Kürzung bei Kindern bleibt

An der Kürzung der Kinderzuschüsse hält die Koalition dagegen eisern fest: Zwar gibt es aus verfassungsrechtlichen Gründen keine völlige Deckelung pro Familie, allerdings soll die Höhe der Kinderzuschüsse mit steigendem Nachwuchs geringer werden: Für das erste Kind sind maximal 216 Euro vorgesehen, für das zweite Kind 130 Euro und ab dem dritten Kind 43 Euro.

ÖVP-Klubchef August Wöginger verteidigte diese Maßnahme ebenfalls mit einer vorexerzierten Kalkulation: Eine fünfköpfige Familie, rechnete er vor, komme damit auf bis zu 2.200 Euro monatlich – und das sei eine "ausgewogene Balance". Denn auch ein Arbeitnehmer erhalte ja nicht mehr Geld, nur weil er mehr Kinder habe. (Katharina Mittelstaedt, Nina Weißensteiner, 11.1.2019)

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