Gibt es innerstädtisch noch eine Weggabelung ohne ein hellerleuchtetes Ausstellungsplakat? Schöne heile Welt!

Illustrationen von Felix Grütsch

Illustration: Felix Grütsch

Noch vor wenigen Jahren vermeldete das Belvedere erstmals den millionsten Ausstellungsbesucher innerhalb eines Jahres. 2018 werden es deutlich über 1,5 Millionen gewesen sein. Die Aufwärtsspirale dreht sich weiter, der Kultur- und Städtetourismus boomt, die Warteschlangen werden länger, die Logistik rund um den Ausstellungsbesuch wird ausgeklügelter, Bruegel im KHM ist nur mehr über Zeitslots zu besuchen.

Seit der Selbstrechtsfähigkeit der Bundesmuseen ist ein Kampf um den Besucher entbrannt. Die Ausrichtung einzelner Häuser verschwimmt mitunter zulasten publikumsträchtiger Programmierung. Manche Museen expandieren auf diesem Weg auch räumlich, wie die Albertina, die in Kürze das halbe Künstlerhaus übernehmen wird.

Den Herrschaften ist hier ein Coup gelungen: Ein Baustoffhändler, ein Baumeister, ein Museumsdirektor und der ehemalige Kulturminister haben die einzelnen Teile zu einem trojanischen Pferd verschmolzen. Eine Win-win-Situation, hieß es vor knapp zwei Jahren. Interessant wäre zu wissen, wer hier gewinnt, denn in weniger als 30 Jahren gehen 60 Prozent der Dauerleihgaben wieder an die Erben (Haselsteiner) zurück. Bis dahin wird die öffentliche Hand in die Lagerung, Verwaltung und Wertsteigerung der Sammlung investieren. Öffentliches Geld, das man dem Künstlerhaus stets verweigerte, um sein Haus zu renovieren, das aber im Schlepptau von Prunk und Gloria rasch gefunden wurde. Imperiales Messing wird wieder hochpoliert und die Eitelkeit hintendrein.

Prunk und Gloria

Alles scheint von diesen Vorgängen zu profitieren: die Bauwirtschaft, der Flughafen, die Hotellerie, die Dienstleistungsbetriebe, die größer werdenden Abteilungen in den einzelnen Häusern, die Marketingmaschinen, die Veranstaltungen, das Catering – die Museen rüsten um und rüsten auf. Wachstum ist angesagt.

Zeitgenössische Kunst ist in allen Museen präsent wie noch nie, und gleichzeitig haben Künstlerinnen und Künstler noch nie so schlecht verdient. Jetzt auch statistisch belegt. In der jüngst ausgewiesenen Studie des Bundeskanzleramts zur sozialen Lage von Kulturschaffenden werden die bildenden Künstlerinnen und Künstler mit 3500 Euro Nettoeinnahmen im Jahr für künstlerische Tätigkeit als die am wenigsten verdienenden ausgewiesen. Im Gegenzug dazu sind einer Umfrage zufolge die Österreicherinnen und Österreicher gleich nach der Natur auf die Kultur am meisten stolz. Bitte dies auf der Zunge zergehen lassen. Welche Honorare und welche Mieten werden von dieser Zuneigung bezahlt?

Auf dem Rücken des Kulturprekariats

Und ja, es ist nicht so, dass das neu wäre. Neu sind nur die weiter schlechter werdenden Rahmenbedingungen für Künstlerinnen und Künstler und demgegenüber der stark wachsende Schaulauf einiger großer Kunstmuseen. Die Schere geht hier weiter auseinander. Gibt es innerstädtisch noch eine Weggabelung ohne ein hellerleuchtetes Ausstellungsplakat? Schöne heile Welt! Eine öffentliche Glücksversprechung auf dem Rücken des Kulturprekariats. Ist das jetzt die neue, freie Ausstellungsmarktwirtschaft?

Die Kunst bildet die Gesellschaft ab, indem sie von den Rändern und Friktionen derselben berichtet. Die Kunst ist so etwas wie die Blackbox einer Gesellschaft. Sie ist unser besonderes Gut, denn durch sie zeigt sich, wer wir sind und was wir tun. In den historischen Museen wird diese Blackbox meist erst Jahrzehnte später ausführlich geöffnet: klimatisiert, mit Baumwollhandschuhen, bewegungsgedämpft, versichert, UV-geschützt. Am anderen Ende der Ausstellungspraxis finden sich die Offspaces. Jene in Wien gehören zu den produktivsten und interessantesten in Europa, und sie begründen den Erfolg der etablierten Museumslandschaft. Hier wird unter prekären Bedingungen ein Feld aufbereitet, das in der Folge von vielen bewirtschaftet wird. Die Arbeit der Offspaces werden wir uns in ein, zwei Generationen in Teilen wieder ansehen, und zwar für 16 Euro Eintritt, zum Beispiel in der Albertina, wo man laut "Falter" eine Million Euro pro Jahr für Ausstellungsplakate ausgibt.

Veröffentlichungsdruck und Marktlogik

Aus Protest verließen die Secessionisten am Ende des 19. Jahrhunderts das etablierte Künstlerhaus, um bis heute das schlankste, interessanteste und zeitgenössischste Ausstellungshaus in Wien zu programmieren. Sie erklärten damit die Ausstellung zum eigentlichen Ziel. Sie ist in diesem Sinne die Trennung von Werk und Künstlerin beziehungsweise Künstler. Durch eine neue Verbindung mit dem Betrachtenden inauguriert sich damit erst Kunst. Im Wissen darum bezahlen Museen, Festivals, Ausstellungshäuser und private Auftraggeber noch immer viel zu niedrige oder sehr oft gar keine Honorare für künstlerische Arbeit, weil dieser Veröffentlichungsdruck der Künstlerinnen und Künstler noch immer einer Marktlogik unterworfen wird. Wer zahlt hier den Lohn der Arbeit?

Zu fordern sind daher Honorarrichtlinien für Ausstellungs- und Auftragsproduktionen. Die Themenblöcke Urheberrecht, Digitalsteuer, Künstlersozialversicherung, Steuerabsetzbarkeit sind nachhaltig anzugehen. Zu fordern ist eine kritische Reflexion der Produktionsbedingungen von zeitgenössischer Kunst und nicht nur ein bloßes Verwenden der jeweiligen Inhalte durch die Museen. Im Sinne der Nachhaltigkeit ist eine Konzentration der öffentlichen Museen auf ihre Kernkompetenz zu fordern. Außerdem ein Stopp befristeter Dauerleihgabenannahmen durch öffentliche Museen (siehe Generali- und Essl-Sammlung), stattdessen ausschließlich Schenkungen (siehe Sammlung Bogner).

Und nein, den Künstlerinnen und Künstlern geht es nicht schlecht. Sie leben zwar in prekären Verhältnissen, sie haben aber viel zu tun: Die Ränder werden breiter, die Friktionen stärker. (Hans Schabus, 11.1.2019)