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Die Piazza Pretoria in Palermo – der sichersten Stadt Italiens.

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Bürgermeister Leoluca Orlando leistet Widerstand – wieder einmal.

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Als der heute 71-jährige Leoluca Orlando 1985 das erste Mal zum Bürgermeister Palermos gewählt wurde, tobte in der sizilianischen Stadt der "große Mafiakrieg" um die Vorherrschaft in der Cosa Nostra. Praktisch jeden Tag lagen in den Gassen der heruntergekommenen Altstadt Tote in ihren Blutlachen, durchsiebt von Salven aus Maschinenpistolen oder hingerichtet mit einem Kopfschuss.

Unter den Opfern befanden sich neben unzähligen Mafiosi auch Polizisten, Politiker (wie der Bruder des heutigen Staatspräsidenten Sergio Mattarella), Richter, Journalisten und sogar Priester. Pro Jahr wurden bis zu 300 Morde verübt. Palermo galt als "der Schießstand der Cosa Nostra", eine Art Kriegsgebiet.

Heute dagegen ist die sizilianische Metropole mit ihren fast 700.000 Einwohnern die sicherste Stadt Italiens, wie das nationale Statistikamt Istat dieser Tage mitteilte. Das betrifft nicht nur Tötungsdelikte, sondern die gesamte Liste der Straftaten. Laut Istat lag die Kriminalitätsrate in Palermo im Jahr 2017 bei 4400 Delikten auf 100.000 Einwohner – weniger als die Hälfte der 10.900 Straftaten, die in Mailand begangen wurden. In Rom und Neapel waren es etwas mehr als 6000.

"Frühling von Palermo"

Zwar ist die Mafia bis heute nicht vollständig aus Palermo verdrängt worden – aber sie beherrscht die Stadt nicht mehr annähernd so stark wie früher. Dies ist zum einen das Resultat der Repressionsoffensive, die der italienische Staat nach der Ermordung der beiden Richter und Mafiajäger Giovanni Falcone und Paolo Borsellino im Jahr 1992 eingeleitet hatte. Zum anderen ist es das Verdienst von Leoluca Orlando, der nach seiner ersten Wahl zum Stadtoberhaupt den zivilen Widerstand gegen die Clans organisiert und den "Frühling von Palermo" eingeleitet hatte.

Außerdem ist unter Orlando die einstige Mafiahochburg auch zu einer der bedeutendsten Kultur- und Tourismusstädte des Landes geworden; im vergangenen Jahr war Palermo Kulturhauptstadt Italiens.

"Löwe von Palermo"

Der "Löwe von Palermo", wie Orlando genannt wird, ist Professor für Verfassungsrecht und entstammt einer sizilianischen Adelsfamilie. Seit 2016 befindet er sich in seiner fünften Amtszeit. Zur Zeit des "Frühlings von Palermo" stand der "Sindaco" wie Falcone und Borsellino ebenfalls ganz oben auf der Todesliste der Cosa Nostra. Diese Erfahrung und die Geschichte der Wiedergeburt seiner Stadt hat Orlando in seiner Autobiografie Ich sollte der Nächste sein festgehalten. "Die Frage war nicht, ob sie mich umbringen würden, sondern nur wann und wie", schreibt der Vater von zwei Kindern. Ein US-Sender habe ihn damals als "wandelnde Leiche" bezeichnet – "und genauso fühlte ich mich".

Mit dem Rückzug der Clans ist der Kampf gegen die Cosa Nostra für Orlando in den Hintergrund gerückt – sein neuer Gegner ist Innenminister Matteo Salvini von der rechtsradikalen Lega. Für den Linkspolitiker ist das Sicherheitsdekret, mit dem die Regierung die Migrationspolitik massiv verschärft hat, "verfassungswidrig und unmenschlich".

Städte schließen sich Orlandos Widerstand an

Orlando fordert Salvini offen heraus: Er hat die Beamten des städtischen Einwohneramts angewiesen, Migranten auch dann noch Aufenthaltspapiere auszustellen, wenn es aufgrund der neuen Gesetze nicht mehr zulässig wäre. Dem zivilen Widerstand haben sich inzwischen auch andere Bürgermeister angeschlossen, etwa in Neapel, Mailand oder Bologna.

Das Sicherheitsdekret hat die humanitäre Aufnahme faktisch abgeschafft. Diesen provisorischen, in der Regel zwei Jahre gültigen Aufenthaltsstatus bekamen jene, die weder Asyl noch internationalen Schutz erhielten, aber aus humanitären oder auch technischen Gründen nicht in ihr Heimatland abgeschoben werden konnten. Laut NGOs betrifft dies zwischen 100.000 und 120.000 Menschen. Sie haben keine Aufenthaltsbewilligung mehr und damit weder Zugang zum staatlichen Gesundheitsdienst noch die Möglichkeit, einen Arbeitsvertrag abzuschließen oder eine Schule zu besuchen. "Das schafft nicht mehr Sicherheit, sondern weniger", betont Orlando.

Alle sind Menschen

In Palermo setzt sich der Bürgermeister seit Jahren für die Integration ein, und das mit einigem Erfolg. "Hier gibt es keine Migranten, denn wer in unserer Stadt lebt, ist ein Palermitano, ein Bürger", sagt Orlando. Die Unterscheidung zwischen Einheimischen und "Bürgern, die später bei uns angekommen sind", sei sinnlos: Es seien alles Menschen. Orlando ist bewusst, dass er mit dieser Meinung in Italien heute nicht die Mehrheit vertritt. "Aber als ich vor dreißig Jahren sagte, die Mafia könne besiegt werden, hat das auch niemand geglaubt."

Dass Palermo nun offiziell die sicherste Stadt Italiens ist, bestätigt den Bürgermeister in seiner Überzeugung, dass die Gleichsetzung mehr Migranten gleich mehr Kriminalität lediglich eine perfide Wahlkampfpropaganda darstelle. "Palermo ist gastfreundlich zu den Flüchtlingen, und Palermo ist sicher", stellt Orlando mit Genugtuung fest. (Dominik Straub aus Rom, 12.1.2019)