a: Weltweite geographische Verteilung.

b: Verteilung der Qingke-Gerste-Landrassen und tibetischen Wildgersten.

c: Verbreitungswege für Gerste und Weizen nach China und Tibet.

Grafik: Nature Communications

Gerste gilt als erste von Menschen kultivierte Getreideart. Woher die Pflanze am Übergang zur Jungsteinzeit kam und in welche Regionen sie zunächst gelangte, ist nicht geklärt. Doch lange Zeit wurde vermutet, dass neben dem fruchtbaren Halbmond im Nahen Osten Tibet ein wichtiger Ursprungsort sein könnte, von der aus sie sich weiterverbreitet hat. Durch die Sequenzierung unterschiedlicher Gerstenmuster haben internationale Forscher nun nachweisen können, dass die moderne tibetanische Qingke-Gerste (Hordeum vulgare) tatsächlich von einer Gerste, welche im östlichen fruchtbaren Halbmond domestiziert wurde, abstammt und vor etwa 4500 bis 3500 Jahren durch Zentralasien über eine Südroute nach Tibet eingeführt wurde.

Während Gerste in Mitteleuropa vor allem als Futtermittel und in geringeren Mengen als Braugerste zur Malzerzeugung oder auch direkt als Nahrungsbestandteil für den Menschen verwendet wird, spielt Gerste in anderen Ländern eine wesentlich bedeutsamere Rolle. So ist sie beispielsweise in Tibet eines der Hauptgrundnahrungsmittel. Die dortige Gerste, Hordeum vulgare, ist sechszeilig und spelzenfrei und wird als Qingke-Gerste bezeichnet. Darüber, wie die landwirtschaftlich bedeutsame Kulturgerste nach Tibet kam, wird schon seit längerem diskutiert.

Eine Arbeitsgruppen um Martin Mascher und Nils Stein des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) Gatersleben beschäftige sich mit der Aufklärung der genomischen Eigenschaften von Kulturpflanzen. Zusammen mit Kollegen von neun chinesischen Forschungsinstituten und einer australischen Universität nahmen sich Forscher der Arbeitsgruppen der Fragestellung nach der Herkunft der Qingke-Gerste in internationaler Zusammenarbeit an.

Zahlreiche Sequenzierungen

Zur Untersuchung der Herkunft und der Domestizierung der Qingke-Gerste entschlüsselten sie die Genome von 177 verschiedenen Gersten-Akzessionen durch DNA Sequenzierung, darunter von Qingke-Gerste aus verschiedenen Regionen Tibets, östliche und westliche Gersten Genotypen und einer verwilderten tibetischen Gerste, dessen Phänotyp einer Mischung aus Wildgerste und Qingke-Gerste entspricht. Die Analyse der Sequenzierungsdaten wurde dadurch ermöglicht, dass internationale Wissenschafter um Nils Stein im Jahr 2017 eine Referenzsequenz für Gerste geschaffen hatten.

Die Forscher zeigten mit ihrer aktuellen Analyse, dass die Qingke-Gerste von einer im östlichen fruchtbaren Halbmond – eine Region im Nahen Osten, die sich von Israel über Jordanien, Syrien, die Türkei, Irak bis nach Iran erstreckt – domestizierten Gerste abstammt. Diese Kulturgerste wurde vermutlich vor rund 4.500 bis 3.500 Jahren über Nord-Pakistan, Indien und Nepal nach Süd-Tibet eingeführt. Die dabei festgestellte geringe genetische Variabilität der Qingke-Gerste deutet darauf hin, dass entgegen vorheriger Vermutungen, Tibet nicht als Ursprungsort der Domestizierung der Gerste eine Rolle gespielt haben kann.

Gründereffekt vor mehreren Tausend Jahren

Stattdessen zeigt die Abnahme der genetischen Vielfalt von östlicher domestizierter Gerste bis hin zur Qingke-Gerste, dass vermutlich ein sogenannter Gründereffekt vor 4.500 bis 2.000 Jahren stattfand, bei dem nur eine kleine genetische Gruppe der Gerste an die Umweltbedingungen des tibetanischen Plateaus angepasst werden konnte und so zu den Vorfahren der Qingke-Gerste wurde.

Dass die Gerste eine solche genetische Vielfalt aufweist, so dass sie sich an extreme Umweltbedingungen, wie im tibetischen Hochland, anpassen und als Hauptkulturpflanze etablieren konnte, reflektiert die Dynamik des Gerstengenoms. Damit ist Qingke-Gerste eine neue potentielle Quelle für Resistenzen gegen widrige biotische und abiotische Umweltbedingungen, die möglicherweise auch in der heimischen Züchtung genutzt werden könnte. (red, 13.1.2019)