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Die Staaten hätten die Haushaltssanierung ambitionierter angehen können, meint Ewald Nowotny.

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Ewald Nowotny steht seit September 2008 an der Spitze der Nationalbank und sitzt im Rat der Europäischen Zentralbank. Im Interview mit dem STANDARD macht er ungewöhnlich deutlich auf Strukturprobleme der deutschen Wirtschaft aufmerksam. Vor allem wegen der Umwälzungen im Automobilsektor sorgt er sich. Österreich werde sich davon nicht gänzlich isolieren können, meint Nowotny. Bei den Anleihekäufen der EZB kritisiert der frühere SPÖ-Abgeordnete die Zentralbank und sagt, ein früherer Ausstieg hätte nicht geschadet.


STANDARD: Derzeit purzeln die Konjunkturprognosen, die Weltbank spricht von einer holprigen Entwicklung. Rechnen Sie mit einem Abschwung oder Schlimmerem?

Nowotny: Es gibt keinen Zweifel, dass sich die weltweite Wirtschaftsentwicklung eingetrübt hat, allerdings ausgehend von einer sehr starken Dynamik. Vor allem in den USA kommt es zu einer Verlangsamung des bis zuletzt hohen Wachstums, weil der starke künstliche Energieschub durch die Steuersenkungen verpufft. Dazu kommen die Sorgen wegen des Handelsstreits und eine Abkühlung der Konjunktur in China. Man muss aber deutlich sagen: Wir rechnen lediglich mit einer deutlichen Verlangsamung des Wachstums, die nicht vergleichbar mit der Krise nach 2008 ist.

STANDARD: Wie wird sich der Abschwung auf Europa auswirken?

Nowotny: Hier gibt es das ungelöste Problem Brexit, der vor allem Großbritannien trifft, aber auch EU-Staaten mit enger Wirtschaftsbeziehung wie die skandinavischen Länder, die Niederlande, aber auch Deutschland. Dazu kommt das Problem Italien, das seit zehn Jahren wirtschaftlich stagniert. Hier gibt es entgegen allen Erwartungen der Regierung in Rom rezessive Tendenzen.

STANDARD: In Deutschland war das dritte Quartal negativ, auch wegen Verzerrungen am Automarkt. Lässt der Nachbar aus?

Nowotny: Wenn auch das vierte Quartal 2018 negativ sein sollte, wäre technisch die Definition einer Rezession gegeben. Aber Sonderfaktoren spielen da sicher eine Rolle. Die wichtigste Wirtschaftsfrage für Europa ist, ob es sich in Deutschland um einmalige Einbrüche handelt oder ob dahinter strukturelle Faktoren stecken. Die Befürchtung ist, dass wir speziell in der Autoindustrie nachhaltige Veränderungen haben, die Deutschland besonders betreffen. Auch weil die Strategie primär auf Exportüberschüsse ausgerichtet ist. Das bringt eine starke Abhängigkeit Deutschlands von der Entwicklung im Ausland. Was mich besonders beunruhigt, sind psychologische Faktoren. Gerade die gesamte Dieseldiskussion, verbunden mit den Problemen in der Autoindustrie, erhöht die Unsicherheit. Wenn Menschen den Kauf eines Autos nur um ein halbes Jahr verschieben, sorgt das für einen gewaltigen Nachfrageausfall. Nachhaltige Dramatik entsteht, wenn es zu echten Strukturbrüchen in der auf Export und Maschinen ausgerichteten Wirtschaft kommen sollte. Deutschland könnte da angreifbar sein.

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Ein Strukturbruch in Deutschland würde wohl auch Österreich treffen, wenn auch vermindert, meint Nowotny.
Foto: Reuters/Leonhard Foeger

STANDARD: Österreich ist u. a. als Zulieferer eng mit Deutschland verflochten. Sind die Probleme ähnlich?

Nowotny: Österreich kann sich von solchen Entwicklungen nicht isolieren. Unsere Prognosen für 2019 sind aber deutlich besser als für Deutschland. Das zeichnet sich schon seit mehreren Jahren ab. Durch die größere Bedeutung der zentral- und osteuropäischen Länder haben wir eine ausgeglichenere Exportstruktur als Deutschland.

STANDARD: Was bedeutet die Konjunkturabschwächung für die EZB? Kommt die Zinswende überhaupt noch?

Nowotny: Wie für andere Bereiche des Lebens gilt auch für die Geldpolitik: Sag niemals nie. Es ist aber sicher so, dass die Konjunktur die Welt der Geldpolitik nicht leichter macht. Einerseits nimmt die wirtschaftliche Dynamik etwas ab. Andererseits ist das große Zinsdifferenzial zu den USA auf Dauer nicht unproblematisch. Die EZB hat mit dem Einstieg in den Ausstieg begonnen, indem das Anleihenankaufsprogramm mit Jahresbeginn ausgelaufen ist. Allerdings werden auslaufende Anleihen weiter ersetzt, sodass im Gegensatz zur Fed die Bilanzsumme der EZB nicht sinkt.

Der Zinsunterschied zwischen den USA und der Eurozone wächst.

STANDARD: Eine Zinserhöhung heuer ist noch realistisch? Analysten verwerfen diese Erwartung zusehends.

Nowotny: Ich würde da etwas vorsichtiger sein, da die EZB einen mittelfristigen Horizont hat. Sicher ist, dass, wenn es zu einem Zinsschritt kommen sollte, dieser vorsichtig sein würde.

STANDARD: Die EZB muss sich den Vorwurf gefallen lassen, mit ihrer Nullzinspolitik zum Aufbau einer Schuldenblase beigetragen zu haben. Wie sehen Sie das?

Nowotny: Die Entwicklungen sind nach Staaten, Haushalten oder Branchen sehr unterschiedlich. In Österreich oder Deutschland sehe ich keine Blase. Allerdings: Ein früherer Ausstieg aus den Anleihenkäufen hätte aus meiner Sicht keine negativen Effekte auf die Konjunktur gehabt.

STANDARD: Sie können sich also eine Welt ganz ohne Anleihenkäufe vorstellen?

Nowotny: Angesichts des hohen Bestandes ist das keine kurzfristige Perspektive. Langfristig würde ich eine solche Welt begrüßen.

STANDARD: Mit den Nullzinsen hat die EZB viel Druck von verschuldeten Ländern wie Italien genommen. Rächt sich das jetzt?

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Nowotny stimmt nicht in allen Fragen mit EZB-Chef Mario Draghi überein.
Foto: Reuters/Leonhard Foeger

Nowotny: Eine schwache Regierung ist eine schwache Regierung. Bei jedem Zinsregime. Hier sehe ich keine kausale Verflechtung.

STANDARD: Banken müssen Staatsanleihen nicht wie Kredite an Private und Unternehmen mit Eigenkapital unterlegen, um das Risiko abzudecken. Risikolos ist Staatsfinanzierung aber nicht. Sollte sich das ändern?

Nowotny: Ich bin skeptisch, ob die jetzige Nullgewichtung von Staatsanleihen sinnvoll ist. Eine Unterlegung mit Eigenkapital würde mehr Realitätsbezug bringen. Man muss bei solchen Änderungen aufpassen, dass sie nicht zum ungünstigsten Zeitpunkt kommen. Allerdings hatten wir in den letzten zehn Jahren sehr viele ungünstige Momente. Eine Abkehr vom Status quo kann sicher nur über längere Zeiträume erfolgen. Eine realistischere Bewertung in den Bankbilanzen würde aber auch die Wirksamkeit der Geldpolitik verbessern.

STANDARD: Frankreich und Italien halten sich nicht an die Vorgaben der Eurozone zur Reduktion des Defizits, dennoch unternimmt die EU-Kommission nichts. Hat der Euro nicht ein Glaubwürdigkeitsproblem?

Nowotny: Der Stabilitätspakt wurde laufend verändert und auch flexibilisiert, um die Regeln in einen wirtschaftlichen Gesamtzusammenhang einzubetten. Nehmen sie Deutschland, das als erster Staat die Grenze von drei Prozent Defizit im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt überschritten hat. Grund war die Abfederung der Arbeitsmarktreformen rund um Hartz IV. Gesamtwirtschaftlich war das eine richtige Politik. Gefährlich sind zu hohe Defizite, wenn sie zur Gewohnheit werden.

STANDARD: Doch insgesamt ist die Verschuldung der Eurozone mit knapp 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts sehr hoch. Wurde die gute Konjunktur ausreichend zur Stabilisierung genützt?

Nowotny: Immerhin geht die Verschuldung zurück, sie ist in Europa deutlich niedriger als in den USA. Aber rückblickend betrachtet hätte man hier ambitionierter vorgehen sollen. Doch das hat die EZB nicht zu verantworten.

STANDARD: Naja, Sie haben die Staaten mit niedrigen Zinsen um hunderte Milliarden entlastet.

Nowotny: Niedrige Zinsen haben immer Gewinner und Verlierer. Es gibt Verlierer auf der Anlegerseite und Gewinner auf Seiten der Schuldner. Die großen Schuldner sind der Unternehmens- und der Staatsbereich. Aber dazu zählen auch Haushalte, die sich etwa für einen Wohnungskauf verschulden.

STANDARD: Hat Österreich den Zinsvorteil ausreichend genutzt?

Nowotny: Ich habe immer für eine ambitioniertere Stabilisierungspolitik geworben. Das Nulldefizit hätte man angesichts der Dynamik bei den Steuereinnahmen schon vor 2019 erreichen können. Der Staat sollte Spielraum haben für den Fall, dass man auf einen stärkeren Konjunktureinbruch reagieren muss.

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Die Londoner City verliert schon im Vorfeld des Brexit Finanzgeschäft.
Foto: Reuters/Henry Nicholls

STANDARD: Wie wird sich der Brexit auf das europäische Finanzsystem auswirken?

Nowotny: Man muss nüchtern feststellen, dass der Brexit negative Effekte hat, weil das größte Finanzzentrum, London, tendenziell geschwächt wird. Auch bei Euro-Transaktionen wird es zu einer Neuverteilung kommen. Das wird zum Teil Euroländer stärken – Städte wie Frankfurt oder Paris. Es sieht aber so aus, als ob New York einer der großen Gewinner würde. New York hat im Vorjahr London als größtes Finanzzentrum der Welt abgelöst. Mit dem Brexit schwächt sich Europa selbst.

STANDARD: Die Bedeutung der USA zeigt sich auch beim Iran. Europa kann kein Geschäft machen, weil Washington Sanktionen verhängt.

Nowotny: Der Dollar ist nicht nur die stärkste Währung, die USA sind auch die größte Wirtschafts- und Militärmacht. Das ist ein Gesamtkomplex. US-Sanktionen sind daher ein Risiko, dem sich nichtamerikanische Akteure nicht unterwerfen wollen. Es gibt auch Bereiche, in denen es Erfolge Europas gibt, denken Sie nur an die eigenständige Handelspolitik.

STANDARD: Die Währungsunion feierte gerade ihren 20. Geburtstag. Wie ist ihre Stellung in der Welt?

Nowotny: Der Euro ist rasch zu einer Weltwährung geworden, knapp 36 Prozent des globalen Handels werden in Euro verrechnet. Bei den Währungsreserven der Notenbanken liegt der Anteil mit 20 Prozent deutlich unter jenen im Dollar-Raum. Europa strebt eine Stärkung der internationalen Rolle des Euro an, der das politische und wirtschaftliche Gewicht Europas widerspiegeln soll. (Andreas Schnauder, 12.1.2019)