Bundeskanzler Sebastian Kurz hat seinen Gegnern eine feine Falle gestellt. Seiner Erklärung, es könne nicht wünschenswert sein, dass in immer mehr Wiener Familien in der Früh nur die Kinder aufstehen, weil diese mit dem Schulbesuch wenigstens eine sinnvolle Beschäftigung hätten, kann man nicht widersprechen.

Weder ist wünschenswert, dass die Kinder ohne Frühstück in die Schule geschickt werden, noch ist wünschenswert, dass die Eltern keiner Arbeit nachgehen. Und schon gar nicht wird man sich wünschen, dass die Zahl der Familien mit solchen Lebensverhältnissen zunimmt.

In der Sache wird Kurz also viel Zustimmung bekommen. Im Stillen sicher auch von denen, die ihm jetzt lautstark widersprechen. Der Widerspruch macht sich daher daran fest, dass der Kanzler ein Bild von Arbeitslosen zeichnet, die den ganzen Tag auf der faulen Haut – und damit den Steuerzahlern auf der Tasche – liegen.

Dieses Bild hat die Soziologin Laura Wiesböck kürzlich in ihrem Buch "In besserer Gesellschaft" analysiert: "Dem gängigen Vorurteil nach sind Arbeitslose übergewichtig, unhygienisch, ungepflegt, faul, ernähren sich ungesund, machen keinen Sport, schauen viel fern und haben Kinder, die sie vernachlässigen. (...) Langzeitarbeitslose oder als Konkurrentinnen empfundene Migrantinnen werden über entsprechende Vorurteile und Labels auf ihre statusniedrige Position verwiesen", heißt es im Soziologendeutsch.

Das negative Image wird auch von vielen Medien gepflegt – Journalisten nennen entsprechende Reportagen zynisch "Sozialpornos" – und nicht nur von konservativen Politikern aufgegriffen: Kurz kann darauf verweisen, dass sich sein Vorgänger Christian Kern und Wiens Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorszky, beide aus der SPÖ, ganz ähnlich geäußert haben – ohne viel Aufregung in der linken Blase.

Was also bleibt zu tun? Es bleibt festzuhalten, dass die von Kurz, Kern und Czernohorszky skizzierte Entwicklung falsch ist – und es gilt, ihr entgegenzuwirken. Kürzungen bei der sozialen Absicherung können – wenn überhaupt – nur ein kleiner Teil eines Maßnahmenbündels sein, in dem derzeit neben sinnvoller Fortbildung vor allem ein Angebot an anständig entlohnter Arbeit für Rückkehrer in den Arbeitsmarkt fehlt.

Festzuhalten, dass dem Arbeitswilligen Anerkennung und Respekt gebührt, ob er nun Arbeit hat oder nicht, würde den Politikern aller Couleurs auch gut anstehen. (Conrad Seidl, 14.1.2019)