Das Trinkwasser aus Michael Moores Heimatstadt Flint ist stark bleihaltig. In "Fahrenheit 11/9" wird es abgezapft und Politikern gereicht.

Foto: Polyfilm /Amazon Studios

Von allen Schuldigen, die die Präsidentschaft von Donald Trump über die Welt gebracht haben, ist sie die originellste: Gwen Stefani. Warum? Trump soll 2015 darüber erbost gewesen sein, dass ihn der Fernsehsender NBC als Moderator der Show The Apprentice schlechter bezahlte als die Popsängerin, die zur gleichen Zeit Jurorin bei The Voice war. Um den Verantwortlichen zu beweisen, dass er populärer ist, hat er vor herangekarrten Fans seine Präsidentschaftskandidatur verkündet. Aus dem PR-Stunt wurde Ernst. Weil er bald vor prall gefüllten Hallen sprach, gefiel Trump seine neue Rolle immer besser.

Das behauptet zumindest Michael Moore in seinem Dokumentarfilm Fahrenheit 11/9, der sich mit den Gründen für die Wahl des Rechtspopulisten auseinandersetzt. Ungeachtet dessen, wie genau der Filmemacher damit dessen Motivlage trifft, Narzissmus hat gewiss keine geringe Rolle gespielt. Moore, der immer ein Ohr für die "Heartlanders" hatte, die ländliche Bevölkerung der USA, war bekanntlich auch einer der wenigen, die Trumps Sieg vorausgesehen haben. Anders als einflussreichen Persönlichkeiten bei den Demokraten war ihm schon früh klar, was mittlerweile Common Sense ist: dass sich speziell die Arbeiterklasse von der politischen Elite übergangen, ja verraten fühlte.

Am Beispiel des Wassers

In Fahrenheit 11/9, der mit dem Titel an Fahrenheit 9/11, seinen Film über den Terror und Bushs Irakkrieg, anschließt, ist Moore glücklicherweise nicht nur auf Trumps Machenschaften fixiert, sondern legt seine Motivsuche grundsätzlicher an. Sie führt ihn in seine Heimatstadt Flint, Michigan, die schon Schauplatz seines ersten Films Roger & Me (1989) war. Damals ging es um die Sparmaßnahmen von General Motors, die zu tausenden Arbeitslosen führten. Diesmal leidet die ohnedies gebeutelte Bevölkerung an der Trinkwasserqualität von Flint, die dramatisch gesunken ist, seitdem der Gouverneur Rick Snyder eine neue Pipeline legen ließ.

Moore benutzt die fahrlässige politische Aktion wie ein Menetekel. Kontextuell etwas weit hergeholt, aber bildstark. Denn die Hybris, mit der sich ein Politiker über die Bedürfnisse der Wähler hinwegsetzt, die nicht zu den Privilegierten gehören, bleibt lange ungestraft. Selbst Barack Obama reist an, um vor einer größtenteils afroamerikanischen Zuhörerschaft, mithin glühenden Unterstützern, Rick Snyder den Rücken zu stärken und sich vorsichtig die Lippen mit dem angeblich wieder genießbaren Wasser zu benetzen.

JoBlo Movie Trailers

Mit dem Flint-Beispiel will Moore veranschaulichen, wie man das Vertrauen in repräsentative Politik effektiv unterhöhlt. Es soll aber auch bereits Trump als Lektion dafür gedient haben, dass man mit offensichtlichem Betrug durchkommen kann, wenn man es geschickt anstellt. Doch Moore ist bei aller ihm eigenen Vehemenz kein Freund von Einseitigkeit. An der Art und Weise, wie Bernie Sanders bei der Kandidatur gegenüber Hillary Clinton übervorteilt wurde, zeigt er auf, dass auch die Demokraten nachhelfen, wenn ein bestimmtes Ergebnis für sie unumgänglich scheint.

Megaphon fürs breite Publikum

Vieles von dem, was Moore ins Treffen führt, ist bekannt. Allerdings haben seine Filme schon immer wie ein Megafon funktioniert, das disparates, oft medial vernachlässigtes Material für ein breites Publikum verstärkt. So verwundert es auch nicht, dass in Fahrenheit 11/9 die Medien nicht besonders gut aussteigen. Auf Trump reagierten sie lange heuchlerisch mit Häme, um seinen Unterhaltungswert zugleich rigoros auszuschlachten. Umgekehrt bezichtigt Moore liberale Medien wie die New York Times, bei linkeren Kandidaten unter den Demokraten reflexartig den Untergang der Partei herbeizureden.

Doch ebensolche Politiker, oftmals Frauen wie Alexandria Ocasio-Cortez oder Rashida Tlaib, eine der ersten Musliminnen im US-Kongress, stehen im letzten Teil des Films für Erneuerung ein, weil sie ihre Politik wieder verstärkt an den Bedürfnissen der Bürger ausrichten. Die jüngste Generation, Aktivisten für Waffenkontrolle (Never again MSD), organisiert sich bereits ausschließlich über soziale Medien. Es ist ein weiter Bogen, den Moore spannt, aber am Ende klingt er sogar überraschend optimistisch.
(Dominik Kamalzadeh, 15.1.2019)