Auf den Wechten errichteten besonders kunstsinnige Hunde Kotspindeln, wahre Gipfelstationen des Feinsinns.

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In den segensreichen Kreisky-Jahren hatten die Hemden längere Kragenspitzen, die Hosen besaßen unwiderstehlich mehr Schlag. Aber die Winter waren um nichts besser als ihre Nachfahren. Die werfen neuerdings mit der weißen Pracht um sich, als handle es sich bei Schnee um gefrorenes Falschgeld.

Mich Wiener Babyboomer ergötzten die Schneehaufen vor dem Rinnstein. Manchmal sahen sich Autobesitzer gezwungen, ihren Parkplatz zu verlassen. Prompt wurden ihre Gemahlinnen verpflichtet, in das Schneeloch zu steigen, um es gegen lästige Gelegenheitsparker zu verteidigen. Auf den Wechten errichteten besonders kunstsinnige Hunde Kotspindeln, wahre Gipfelstationen des Feinsinns. Hunde und deren Halter agierten in den Jahren der SPÖ-Alleinregierung sehr viel selbstbewusster als heute, wo sie sich mit dem Trotz gestrauchelter Existenzen – Säufer, entlassene Matrosen, versprengte Kommunisten – in die Hundezonen verziehen.

Frühe Schauflerin

Zu den großen Lieben meiner Kindheit gehörte unsere ebenso greise wie agile Hausbesorgerin, Frau Hofkirchner. Sie war etwa so groß wie Rosa Luxemburg (146 cm) und nahm mich bereitwillig in ihre Obhut, wenn meine Eltern bei Schinkenrolle und Eierlikör die Zweisamkeit suchten. Sie besaß zwei Wellensittiche, die beide "Burli" hießen, wohl um lästigen Verwechslungen vorzubeugen.

Die beiden safrangelben Tiere musizierten mit Ö Regional um die Wette. Das hervorragende Merkmal der alleinstehenden Greisin aber war ihr Pflichtbewusstsein. Kaum fielen ein paar versprengte Flocken, schon hörte man ihre Schneeschaufel – bevorzugt gegen fünf Uhr früh – über den Gehsteig kratzen. Gedanken an die Pension wischte sie mit Verweis auf das nahe Pflegeheim in Lainz vom Tisch. Eher hänge sie sich "eigenhändig am Türstock" auf, als ihr Geschick fürder der Sorgfalt kommunaler Pflegerinnen anzuvertrauen.

Eines Morgens fand man Frau Hofkirchner tatsächlich entseelt auf dem Pflaster liegen, ihre Silhouette von einer hauchdünnen Decke Schnees bedeckt. Die Frage, was jetzt aus "Burli 1" und "Burli 2" würde, beschäftigte mich noch, als die Parteien in unserem Haus zum Osterspaziergang rüsteten. (Ronald Pohl, 16.1.2019)