Die ersten Flieger – hier ein Polyneoptera-Modell – entwickelten sich offenbar erst nach dem Landgang der Urinsekten, wie eine aktuelle Studie zeigt.

Illustr.: Universität Wien/Harald Letsch

Wien – Bisher deuteten einige Studien darauf hin, dass die Flugfähigkeit der Insekten bereits in Anlagen vorhanden waren, noch ehe deren Vorfahren die Ozeane verließen, um die Landmassen zu erobern. Als sich die Insekten vor rund 400 Millionen Jahren schließlich in die Lüfte erhoben, bildete dies den Grundstein einer enormen Artenvielfalt. Eine der wichtigsten frühen Fluginsekten stellen die Polyneoptera dar. Zu ihnen gehören heute weit verbreitete Ordnungen wie Schaben, Heuschrecken oder Gottesanbeterinnen. Ein internationales Team um Harald Letsch von der Universität Wien konnte nun belegen, dass die Flügel tatsächlich erst an Land entstanden sind.

Manche Vertreter der Polyneoptera sind an eine Lebensweise an der Bodenoberfläche und der Bodenstreu angepasst. Andere wiederum leben im Laubwerk und imitieren zum Teil sogar Äste und Blätter. Diese unterschiedlichen Lebensweisen bedingen auch ganz unterschiedliche Ernährungsweisen. Ohrwürmer und Schaben sind beispielsweise als Allesfresser bekannt, die Gespenst- sowie einige Heuschrecken sind ausschließlich Pflanzenfresser und Gottesanbeterinnen jagen ihre Beute.

Ursprüngliche Fluginsekten mit Wasserlarven

Kenntnisse über die Evolution all dieser Merkmale und Lebensweisen tragen nicht nur zum Verständnis der Entstehungsgeschichte der Polyneoptera bei, sondern prägen auch zentrale Vorstellungen über die ursprüngliche Evolution aller geflügelten Insekten. Dazu gehört unter anderem die Frage über ihre Entstehung entweder bereits in Wasser wurzelt oder erst am Land einsetzte. Da neben den polyneopteren Steinfliegen auch weitere Gruppen der geflügelten Insekten – Libellen und Eintagsfliegen – als Larven Wasser besiedeln, wurde in der Vergangenheit häufig eine frühe Evolution der geflügelten Insekten in einer aquatischen Umwelt vermutet.

"Zentral war ebenfalls die Frage, ob die adulte Lebensweise vieler Arten als Bodenbewohner den ursprünglichen Zustand darstellt oder ob sich diese wieder sekundär aus anderen Lebensweisen entwickelt hat", erklärt Biodiversitätsforscher Letsch. Da die verwandtschaftlichen Beziehungen der verschiedenen Ordnungen mit bisherigen Methoden nicht hinreichend geklärt werden konnten, war bislang nicht viel über die Evolution dieser Merkmale bekannt.

Frühe Anpassung an terrestrische Lebensräume

Mit Hilfe eines umfassenden molekularen Datensatzes von 106 Insektenarten und 3014 Genen haben die Wissenschafter im Fachjournal "PNAS" zeigen können, dass der letzte gemeinsame Vorfahre der Polyneoptera und aller geflügelten Insekten ausschließlich an terrestrische Lebensräume angepasst war. Dies impliziert, dass die Entstehung von Insektenflügeln nicht in Wasser stattfand.

"Weiterhin ergaben die Auswertungen, dass der ursprüngliche Lebensraum der Polyneoptera die Bodenoberfläche war, worauf eine gerade Abflachung des Körpers, gut ausgebildete Extremitäten sowie verhärtete Vorderflügel hinweisen", so Letsch. Die unterschiedlichen Formen sozialen Verhaltens sowie die Anpassung an alternative Lebensräume und die damit zusammenhängenden morphologischen Veränderungen erfolgten schließlich unabhängig in den einzelnen Gruppen.

Insekteneinfluss auf die Ökosysteme

"Ein Verständnis über die Entstehungsgeschichte der Polyneoptera bringt uns der Lösung der Geheimnisse der Insektenevolution näher. Nur mit einer zuverlässigen phylogenetischen Rekonstruktion können wir untersuchen, wie Insektenarten die Ökosysteme beeinflussen und unsere natürlichen Ressourcen erhalten oder gefährden", so Letsch. (red, 19.1.2009)