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In Rotterdam, Europas größtem Hafen, werden nicht nur internationale Containerschiffe beladen, sondern auch viele kleinere Fähren nach Großbritannien. Dieser Grenzhandel ist nun gefährdet.

Foto: Reuters/PIROSCHKA VAN DE WOUW

Über 40 Kilometer erstreckt sich der größte Hafen Europas – von Rotterdam bis nach Hoek van Holland, der "Ecke von Holland" nahe Den Haag. Da, wo die Fähren nach England an- und ablegen. Am Frachtterminal der Reederei Stena Line herrscht ohrenbetäubender Lärm. Unentwegt rollen neue Lastwagen auf die oder von den Schiffen – mit Waren aus Großbritannien, die von hier aus in ganz Europa verteilt werden. Oder andersherum: Waren aus Europa, die für den britischen Markt bestimmt sind. Autoteile aus Österreich zum Beispiel. Blumen, Gemüse und Käse aus Holland. Oder Fleisch aus Deutschland. "Wir besorgen den Briten ihren Bacon & Eggs", witzelt Lkw-Fahrer Henk, ein 52 Jahre alter Niederländer aus Gouda, der gerade mit einem Auflieger voller Schweinefleisch eingetroffen ist.

Allerhöchstens 30 Minuten dauert es, bis sich sein Lkw-Anhänger an Bord der Fähre befindet und Henk mit einem neuen Trailer voller britischer Waren wieder landeinwärts fahren kann. Roll-on, Roll-off. Im Gegensatz zu vielen Kollegen fährt er selbst nicht hinüber nach England. Die Abfertigung der Waren selbst ist Minutensache. Ein rascher unbürokratischer Transport über Landesgrenzen – so möglich nur dank EU-Binnenmarkts und Zollunion.

Aber: Das dürfte die längste Zeit so gewesen sein. Egal, ob Hafengesellschaft, Zollbehörde oder Terminals – in Rotterdam, Europas Tor zur Welt, rechnet man mit dem Schlimmsten: einem chaotischen Brexit. Dann würde die Küste bei Hoek van Holland wieder zu einer europäischen Außengrenze mit Zollvorschriften und Kontrollen werden. Dann könnten aus Henks 30 Minuten Stunden werden. Und Kilometer von Lkw-Kolonnen entstehen. Bis hin zur Autobahnauffahrt. Unzumutbar für die Einwohner von Hoek van Holland: "Uns droht ein Verkehrsinfarkt", fürchtet Ton van Anraad von der Gemeindeverwaltung.

Rund um den Anlegeplatz sucht die Rotterdamer Hafengesellschaft zusammen mit der Gemeinde deshalb nach zusätzlichen Parkflächen. Und die Zollbehörden nach 900 neuen Mitarbeitern: "Bei einem harten Brexit müssen pro Jahr zehntausend Schiffe mehr als bisher kontrolliert werden" , so Roel van 't Veld, Brexit-Koordinator der Zollbehörde. Bislang verlaufe der Handel mit den Briten so wie mit jedem x-beliebigen niederländischen Dorf: "Das wird sich ändern – und zwar grundlegend. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Ich kann nur alle dazu aufrufen: Sorgt dafür, dass ihr vorbereitet seid!"

Alle – das sind auch die Produzenten und die Spediteure. Um beim Beispiel Fleisch zu bleiben: Bisher reichen für den Export ins Vereinigte Königreich zwei Formulare, nach dem Brexit werden es bis zu neun sein. Und die müssen stimmen, sonst kommt es an der Grenze zu Verzögerungen. Von den 35.000 betroffenen niederländischen Firmen haben sich laut Schätzungen gut die Hälfte auf den Brexit vorbereitet. Aber was ist mit dem Rest der EU?

"Dort scheint man gerade erst aufzuwachen", glaubt Mark Dijk, Manager für internationale Beziehungen beim Rotterdamer Hafen, der gerade von einer Besprechung in Brüssel zurück ins Rotterdamer World Port Center gekommen ist. Länder wie die Niederlande, Belgien und Frankreich, die am stärksten betroffen sind, hätten sich am besten gewappnet. "Aber je weiter weg, desto weniger." Das gelte für Deutschland, den wichtigsten Handelspartner der Niederlande, aber auch für Österreich, wo Großbritannien neuntwichtigster Exportmarkt ist. Alleine schaffen es die Niederländer nicht, da können sie sich selbst als altes Handelsvolk noch so gut gewappnet haben: "Die ganze Handelskette muss mitmachen", so Hafensprecher Leo Willems.

Vorteile werden deutlicher

Auf einer speziellen Brexit-Website des Hafens finden alle Unternehmen, die mit Großbritannien handeln, Hilfe und Unterstützung, auch auf Deutsch. Besser jedenfalls werde es mit Sicherheit nicht. Nach der Abstimmung im britischen Parlament "geht der Zirkus weiter", so Mark Dijk. Mit neuen Folgen in "dieser prächtigen Soap-Serie".

Das einzig Gute: Der Brexit habe die Vorteile des EU-Binnenmarktes so deutlich wie nie zuvor gemacht. Und mit ihnen verhalte es sich so wie mit der Gesundheit: Wie wertvoll sie sind, merke man erst, wenn man sie verliert. (Kerstin Schweighöfer aus Rotterdam, 17.1.2019)