Buchpräsentation

Heute (Donnerstag, 17. 1., 19 Uhr), wird im Wiener Depot Ernst Logars Buch "Ort der Unruhe" (€ 20 / 72 S., Drava, Klagenfurt 2018) präsentiert. Neben Logar am Podium sitzen Eduard Freudmann (Künstler), Erich Klein (Journalist, Publizist und Übersetzer) und Nora Sternfeld (Kunstvermittlerin und Kuratorin, Kunsthochschule Kassel)

Cover: Drava Verlag

Den Stein ins Rollen gebracht hat Ernst Logar bereits einmal. Nicht metaphorisch, sondern tatsächlich. Der felsige Brocken, den der Künstler 2014 durch Wien bewegte, war freilich nur eine Styroporattrappe, eine Replik jenes Denkmals, das in der ehemaligen SS-Kaserne Wetzelsdorf bei Graz (heute: Belgier-Kaserne) an die mehr als 200 Menschen erinnert, die in den letzten Kriegstagen ermordet und dort sowie am Schießplatz Feliferhof verscharrt wurden: jüdische Ungarn, die aus den Todesmärschen nach Mauthausen abgesondert wurden. Sogenannte "Ostarbeiter". Widerstandskämpfer. Kriegsgefangene. Es war eines der größten Massaker des Nationalsozialismus in Österreich.

Foto: Ernst Logar

Logar rollte den Stein damals von seiner Ausstellung im Theater am Hundsturm zum Heldenplatz, wo er ein Foto der Attrappe vor dem Hitlerbalkon schoss. Reiner Zufall war es allerdings, dass zeitgleich eine Angelobung von Rekruten stattfand. Das Szenario sei mit all den Sturmgewehren der Soldaten gespenstisch passend gewesen, erinnert sich der Künstler. Dann rollte er das Trumm bis zur Rossauer Kaserne weiter.

Logars Aktion, die das auf militärischem Gebiet stehende Denkmal zumindest für kurze Zeit in den sichtbaren öffentlichen Raum transferieren sollte, gipfelte in der Übergabe eines Briefs an den damaligen Verteidigungsminister. Im Mai 2014 erhielt er einen Brief, der die Beantwortung in Aussicht stellte. Logar wartet noch immer.

Foto: Ernst Logar

Es ist die Erinnerungskultur des Militärs und der Umgang mit dem Ort, die der 1965 in Klagenfurt geborene Künstler kritisiert. Insbesondere der "Gedächtnishain", der trotz des internationalen Wettbewerbs der 1990er, in der Belgier-Kaserne installierte wurde, ärgert ihn. "Wie werden künftige Generationen mit dem Ort umgehen? Es tut sich dort nichts mehr" Der Ort ist versiegelt", sagt Logar über die Notwendigkeit, Gedächtnisorte lebendig zu halten und Vergangenes mit Gegenwärtigem zu verknüpfen.

Kein Ort der Ruhe

Der Grazer Historiker Heimo Halbrainer bestätigt das. Zwar würden jedes Jahr am Grazer Zentralfriedhof, wohin die aus einem Massengrab am Feliferhof exhumierten Opfer umgebettet wurden, Kränze niedergelegt. Die Erinnerung an den Feliferhof verschwinde jedoch.

Ort der Unruhe heißt das Projekt Logars, das seit 2012 in Objekten, Aktionen und filmischen Interviews mit Militärs und Historikern ((aus denen ein Film entstanden ist) quasi den fehlenden Diskurs um ein zeitgemäßes Denkmal in der Belgier-Kaserne am Laufen hält. "Wieso baut das österreichische Bundesheer in Eigenregie Denkmäler? Ist das ihr Job?", fragt Logar im Hinblick auf den Gedächtnishain, der mit Steinkreisen etwa jene Bombenkrater markiert, unter denen noch heute Opfer vermutet werden – darunter auch der Großvater des Künstlers, Josef Logar. "Stellen, an denen die Opfer begraben liegen", steht in einer Broschüre. Logar hat das Wort "begraben" durchgestrichen und durch die handschriftliche Notiz "verscharrt" ersetzt.

"Den Blick hinrichten", Teil 1, Keller der Universität für angewandte Kunst, 2004
Foto: Ernst Logar

Mit Josef Logar – oder vielmehr mit dem Schweigen über seine Figur – fing für Ernst Logar alles an. Über den Großvater wurde in der Familie immer nur gesagt: "Er hat sich sein eigenes Grab schaufeln müssen und ist dann hineingeschossen worden." Um 2002 begann er, Dokumente und Fakten über Gefängnisaufenthalt und Hinrichtung zusammenzutragen. Aus den Recherche entstand 2004 seine Diplomarbeit Den Blick hinrichten an der Angewandten, eine unter die Haut gehende Installation in einem Kellergang der Universität.

"Gezielt wurde auf Herz und Brust" las man auf schwarzen Lettern, bevor man drei großkalibrige Einschüsse im Glas vor einem, und beim instinktiven Blick zurück die aggressiven Spuren derselben drei Geschosse auch in der Stahltür hinter einem bemerkte: Als Betrachter stand man mitten im Schussfeld. Im selben Jahr vergegenwärtigte Logar in der Kunsthalle Wien ebenso intensiv das Massengrab, das die Ermordeten selbst ausschaufeln mussten. Vom Geruch der aufgeschütteten 20 Kubikmeter Erde wie betäubt, ging man im Halbdunkel in die seichte "Grube" hinab.

"Den Blick hinrichten", Teil 2, Kunsthalle Wien am Karlsplatz, 2004
Foto: Edgar Knaack

Mündige Betrachter

Logar fordert ein reflexives Denkmal, also eines, das den mündigen Betrachter als Teil des Mahnmals begreift. Nicht die materiellen Manifestationen von "Betroffenheit" sind schließlich wichtig, sondern die Denkprozesse, die sie auszulösen vermögen. "Ein Denkmal darf nicht zu viel leisten, sonst schafft es zu viele faule Betrachter", sagt Künstler Jochen Gerz, der 1995 den Wettbewerb für sich entschied und damals einer der gefragtesten Namen für Gedenkkultur war. Der heute 78-Jährige sieht in der Selbstbefragung, der Frage, wie man selbst gehandelt hätte, "die einzige Pille, die man einnehmen kann, um nicht im Faschismus zu verschwinden".

Ernst Logar

Einstimmig fiel die Entscheidung der Jury für Gerz' prozesshafte Arbeit Die Gänse vom Feliferhof. Sie bezog sich auf die kapitolinischen Gänse, die durch ihr Geschnatter das Kapitol vor der Zerstörung durch die Gallier 387 vor Christus retteten. Täglich sollten bei der Arbeit Soldaten vor Ort Fahnen hissen und wieder einholen.

Fahnen, auf denen das Soldatensein reflektierende Sprüche wie "Verrat am Land wird dekoriert" oder "Auf Mut steht der Tod" stehen sollte. Aber obwohl die Sprüche jährlich gegen neue, von den Rekruten selbst gefundene getauscht werden sollten, empfand man das Projekt als "Zumutung" (>>>"Gänse im Anflug", FAZ, 24. 3. 1997).

Die inneren Widerstände ließen auch den steirische Militärkommandanten Arno Manner, einst als Jurymitglied ein Befürworter des Projekts, einknicken. Im Herbst 1996 beschrieb er den Wettbewerb rückblickend als "Hilfestellung ohne Verpflichtung". Statt das Projekt umzusetzen, ließ man es versanden. Gerz zeigt Verständnis dafür, dass ein Mahnmal nicht gebaut wird. Wofür er kein Verständnis aufbringen kann, ist, dass das Militär ihm die Entscheidung nie offiziell mitgeteilt habe. Das Fehlen von Zivilität sei für ihn der eigentliche Skandal. (Anne Katrin Feßler, 17.1.2019)