Die Kritik vieler christlicher Institutionen und Einzelpersonen an der sozialen Ausrichtung der Regierungspolitik lässt die Ideologen der "Neuen ÖVP" sichtlich doch nicht kalt. Wie sonst wäre es möglich, dass sowohl Gernot Blümel als auch Harald Mahrer und Andreas Khol ausrücken, um ihre Sicht der Dinge darzulegen?

Für mich als eine der von Mahrer abqualifizierten "selbsternannten Anwälte christlich- sozialen Handelns" bleiben dennoch Fragen offen. Laut Gernot Blümel ist die christliche Soziallehre also eine Philosophie und hat mit Kirche und Religion nichts zu tun. Ist das nicht schlicht und einfach "Elternweglegung"?

Keine Allerweltsphilosophie

Die Grundlage der kirchlichen Soziallehre ist – und daran ist nicht zu rütteln – die Enzyklika von Papst Leo XIII. "Rerum Novarum" mit all ihrer missbräuchlichen Nutzung durch die Vaterländische Front von Engelbert Dollfuß, die ja aus der christlich-sozialen Partei hervorgegangen ist. Dass die ÖVP nach dem Zweiten Weltkrieg zwar mit dem Personal dieser Bewegung, aber ganz eindeutig einen demokratischen Neuanfang wagte, beinhaltete die Trennung von Kirchen und Staat. Aber Blümels Vermischung von Kirche mit Religion und die Abtrennung der christlichen Soziallehre von ihren kirchlichen Wurzeln ist zumindest intellektuell unredlich. Denn die christliche Soziallehre ist, wie Blümel sagt, keine Religion, aber sie stützt sich auf die Aussagen der Bibel zum Menschenbild und fußt auf deren zentraler Botschaft, der Bergpredigt Jesu. Daraus eine Allerweltsphilosophie zu machen, wie es Blümel versucht, ist schon ein wenig seltsam.

Keine Machtpositionen

Mahrer wieder spricht von der Trennung von Politik und Religion – das ist falsch! Es geht um die Trennung von Kirchen und Staat. Religiöse Überzeugungen werden immer das politische Handeln von Personen beeinflussen, denn unser Gewissen ist von vielen Einflüssen geprägt, auch von religiösen – es geht nur darum, daraus keine Machtpositionen abzuleiten.

Ich sehe die ÖVP derzeit als eine gesellschaftspolitisch konservative, wirtschaftlich liberale und für sogenannte Leistungsträger auch soziale Partei. Sie ist gesellschaftspolitisch konservativ, weil sie sich schwertut mit Pluralität und gesellschaftlichen Veränderungen, vom Schulsystem bis zur gendergerechten Arbeitswelt. Da fehlt es eindeutig an Liberalität. Sie ist wirtschaftsliberal, was beispielsweise leider auch die unreflektierte Akzeptanz von Freihandelsabkommen (Ceta) und die Senkung der Körperschaftsteuer einschließt – bei gleichzeitiger Einsparung im Sozialbereich.

Leistung und (Gottes) Lohn

Sie ist sozial für all jene, die schon etwas besitzen – Beispiel Familienbonus, der umso höher ist, je mehr man verdient, denn Leistung muss sich lohnen. Dabei ist allerdings sicher nicht an die unbezahlte Arbeit von Frauen gedacht (Haushalt, Erziehung, Pflege), da zählt noch immer Gottes Lohn. Alle jene aber, die das Pech haben, diesem Leistungsanspruch, aus welchen Gründen immer, nicht entsprechen zu können, haben Pech gehabt, da wird ganz konservativ gekürzt. Schließlich gibt es ja noch den Milliardenkonzern Caritas, dorthin kann man sich ja wenden, wenn man nicht mehr weiterweiß. Und wenn die soziale Gerechtigkeit dann wirklich ausgedient hat, kann die alte christliche Tugend des Almosengebens verstärkt belebt werden.

In diesem Zusammenhang passt dann allerdings folgender Katechismus-Spruch nicht mehr so recht: "Du sollst nicht als Liebesgabe geben, was der Gerechtigkeit geschuldet ist." Da ist es dann wieder sehr praktisch, dass die Philosophie der christlichen Soziallehre nichts mit Religion und Kirche zu tun hat. (Traude Novy, 16.1.2019)