Im mit Herbert Kickl seit 13 Monaten unter FPÖ-Ägide stehenden Innenministerium ist Peter Webinger karrieremäßig weit oben. Der 43-jährige Jurist, der eigenen Angaben zufolge keiner Partei angehört, steht seit 2019 der neuen Sektion V – Fremdenwesen – vor. Von der Fremdenlegistik abgesehen, fasst diese sämtliche Ausländerbelange zusammen.

Damit ist der Spitzenbeamte auch für die Umsetzung der türkis-blauen Asyl-Umstrukturierungsabsichten zuständig: Eine Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen soll gegründet werden, die Aufgaben wie Flüchtlingsbetreuung in Bundesquartieren sowie Rechts- und Rückkehrberatung von Asylwerbern übernehmen soll. Diese wird derzeit von NGOs wie Diakonie und Caritas geleistet, die von der FPÖ zuletzt massiv angegriffen wurden.

STANDARD: Wenn es um Asyl geht, dominiert in Österreich oft Polemik Wie finden Sie das?

Webinger: Es ist nicht meine Aufgabe, der Politik etwa auszurichten. Ich bin ein glühender Fan des Rechtsstaates. Meine Aufgabe ist, darauf zu schauen, dass die rechtlichen Normen eingehalten werden.

STANDARD: Mit dem Rechtsstaat argumentieren auch Kritiker der Regierungspläne für eine Asylwerber-Rechtsberatung ohne NGO-Beteiligung. Da gibt es starke Bedenken. Verstehen Sie das?

Webinger: Ich teile die Bedenken nicht, denn auch für die Zukunft ist nicht geplant, die Rechtsberatung direkt in ein Ministerium zu integrieren. Vielmehr soll sie im Rahmen einer Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen ausgeübt werden. Laut BFA-Verfahrensgesetz hat die Rechtsberatung weisungsfrei und unabhängig zu sein und soll von den Beratern objektiv und nach bestem Wissen durchgeführt werden. Das ist für mich als Beamter die Handlungsmaxime.

Sitzt im Innenministerium in einem Büro mit fulminantem Ausblick bis weit in den siebenten Bezirk: Peter Webinger, Leiter der Sektion Fremdenwesen.
Foto: cremer

STANDARD: Anders als erwartet wurden die bestehenden Rechtsberatungsverträge des Innen- und Justizministeriums bisher nicht gekündigt. Wie ist das zu verstehen?

Webinger: Noch im Jänner wird es Gespräche mit den NGOs geben, dann sehen wir weiter. Auch mit dem Justizministerium als zweites betroffenes Ressort werden wir uns laufend abstimmen. Danach kann man wieder prognostischer werden.

STANDARD: Auch die Asylwerberbetreuung in Bundesquartieren soll künftig im Rahmen der Agentur stattfinden. Was bringt das?

Webinger: Es geht um eine abgestimmte Herangehensweise der einzelnen Teilbereiche. Auch innerhalb des Rechtsstaats gibt es Aktionäre: das Elektorat und die Steuerzahler. Da braucht es Effizienz und Qualität, in der Grundversorgung ebenso wie bei der Rechts- und Rückkehrberatung und bei den Dolmetschleistungen für Asylwerber.

STANDARD: Wird die Agentur manche Aufgaben auslagern?

Webinger: Nein, Subvergaben der Kernaufgaben sind derzeit nicht geplant. Sämtliche Betreuungs- und Beratungsleistungen sollen direkt im Rahmen der Agentur, einer sogenannten mildtätigen GesmbH, stattfinden. Wir wollen keine Gewinnorientierung bei der Arbeit mit Schutz suchenden Menschen.

STANDARD: Derzeit betreuen Mitarbeiter der Firma ORS in den Bundesquartieren die Asylwerber. Wer soll künftig die Arbeit machen?

Webinger: Wichtig ist, dass möglichst keine Nachteile für Mitarbeiter entstehen. Jene, die bisher gut gearbeitet haben, sollen das weitermachen. Das gilt auch für Mitarbeiter der Diakonie, Caritas, Volkshilfe und des Vereins Menschenrechte Österreich (VMÖ). Auch deshalb gibt es jetzt mit den NGOs und mit der Firma ORS Gespräche.

STANDARD: Wie wollen Sie NGOs und ORS davon überzeugen, Verträge sowie Mitarbeiter zu verlieren?

Webinger: Das eine Frage des Arbeitsrechts. Der Arbeitgeber wird sich ändern, aber die Tätigkeit selbst bleibt gleich. Daher kommen derlei Übernahmen den betroffenen Arbeitnehmern, hinter denen Familien und Kinder stehen, sehr entgegen.

"Die Beziehung zwischen Bund und Ländern in Sachen Asyl wird durch die geplanten Veränderungen nicht berührt."
Foto: Matthias Cremer

STANDARD: Was geschieht mit den vielen Quartieren für Asylwerber in den Bundesquartieren – und mit der Bund-Länder-Vereinbarung?

Webinger: Da ändert sich überhaupt nichts. Die Beziehung zwischen Bund und Ländern in Sachen Asyl wird durch die geplanten Veränderungen nicht berührt. Die Bundesagentur wird allein für die derzeit rund 1000 in Bundesbetreuung befindlichen Asylwerber und Fremde zuständig sein.

STANDARD: Wird es, wie Kritiker befürchten, in den Bundesbetreuungsstellen künftig ein nächtliches Ausgangsverbot geben?

Webinger: Wir prüfen unterschiedliche Modelle. Es gilt, unterschiedliche Interessen abzuwägen, jene der Asylwerber unterschiedlicher Altersgruppen mit unterschiedlichem Schutzbedarf und auch die Situation vor Ort.

STANDARD: Diese Interessenlagen kennen Sie aus der großen Fluchtbewegung 2015/16, als Sie den Krisenstab im Innenministerium leiteten. Was haben Sie damals gelernt?

Webinger: Sehr viel! Eine Lesson learned ist, dass ich seither versuche, auch jene zu sehen, die es nicht zu uns schaffen. Unsere Moral springt meist erst bei Sichtbarkeit an. Dass eine Million Kinder in und um die Krisenregion im Nahen Osten gezwungen ist, hart zuarbeiten, um sich und ihrer Familie ein Überleben zu ermöglichen, wissen wir, aber wir berücksichtigen es zu wenig. Da müssen wir mehr tun und unsere Migrations- und Schutzpolitik danach ausrichten.

STANDARD: Was müsste man tun?

Webinger: Ein erster Schritt ist die Erarbeitung einer gesamtstaatlichen Migrationsstrategie. In einer globalisierten Welt hat man die gesamte Welt als Nachbarn. Die heutigen Strukturen hinken dieser Realität hinterher. Im österreichischen Innenministerium wollen wir eine neue Struktur schaffen, eine, die alle dazu gehörenden Materien zusammenbringt. Dabei sind die Auswirkungen von Migration in den Herkunfts- und Zielregionen zu berücksichtigen. Bei den Migrationszahlen reicht es auch nicht, sich bloß am Status Quo zu orientieren. Warum zum Beispiel haben wir derzeit weniger Aufgriffe? Weil wir an der Grenze präsent sind.

STANDARD: Minister Kickl sagte unlängst, man müsse von weiteren großen Fluchtbewegungen nach Europa ausgehen. Was meinen Sie?

Webinger: Laut UN-Prognose gibt es dazu ein großes Potenzial, doch das heißt nicht, dass sich viele auf den Weg machen werden. Wie es weitergeht, kann man nicht seriös sagen. Das ist von vielen Faktoren und auch von unseren Handlungen abhängig. Schon bisher waren wir ja alle großartige Ex-Post-Prognostiker. (Irene Brickner, 17.1.2019)