ESM-Chef Klaus Regling ist überzeugt, dass Italien kein Kunde des Eurorettungsschirms wird.

Foto: Regine Hendrich

Wien – Italien streitet mit Brüssel über die Höhe des Budgetdefizits, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron reagiert auf Straßenproteste mit höherer Verschuldung, und Irland versperrt sich gegen eine Vertiefung der gemeinsamen Steuerpolitik. Gleichzeig trübt sich die globale Konjunktur ein, Deutschland schrammt haarscharf an einer Rezession vorbei, und die EZB verfehlt ihr Inflationsziel trotz hartnäckiger unkonventioneller Geldpolitik. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Wie sicher ist der Euro?

Damit wurde Klaus Regling, Chef des Eurorettungsschirms ESM, bei einer vom STANDARD begleiteten Diskussionsveranstaltung am Mittwochabend in Wien konfrontiert. Eingeladen hatte der Wiener Großunternehmer Michael Tojner, der soeben ein Buch zu dem Thema mit zwei renommierten Ökonomen, Christian Keuschnigg (St. Gallen) und Jesús Crespo Cuaresma (WU), veröffentlicht hat. Geladen war auch Ex-Nationalbank-Präsident Claus Raidl.

USE, USE, USE

Für Tojner ist klar, der Euro funktioniere langfristig "leider" nur in den Vereinigten Staaten von Europa (auf Neudeutsch: USE). Heute sei das Vertrauen in die gemeinsame Währung erschüttert, die Nullzinspolitik habe die Funktion des Euro als Wertaufbewahrung erodiert. "Die Wut auf die EZB ist groß", sagt der Unternehmer. Letztlich müsse ein gemeinsames Sozial- und Pensionssystem samt eigenen Budgets für Brüssel kommen, damit Ungleichgewichte zwischen einzelnen Euroländern austariert werden. Auch Deutschland müsse einen Vermögenstransfer nach Rumänien oder Portugal letztlich anerkennen.

Vereinigte Staaten von Europa oder kleine Reformschrittchen: Michael Tojner (Mitte) lud Klaus Regling (rechts) und Claus Raidl zur Diskussion.
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So weit will ESM-Chef Klaus Regling nicht gehen: "Der Euro ist heute sicherer als vor zehn Jahren." Man brauche daher keine Vereinigten Staaten von Europa, um die Gemeinschaftswährung zu retten. Nachsatz: "Auch wenn das meinen Job sehr viel einfacher machen würde." Doch in den vergangenen zehn Jahren sei viel weitergegangen, um Konstruktionsfehler des Euro zu beheben. Der ESM sei eine späte, aber richtige Antwort gewesen. Ohne den Rettungsschirm wären Länder wie Portugal oder Griechenland aus dem Euro geflogen, glaubt Regling.

Heute sind alle betroffenen Länder aus den Hilfsprogrammen ausgestiegen: Irland, Portugal, Spanien und Zypern seien Erfolgsgeschichten, Griechenland habe auch Fortschritte gemacht. Mit dem ESM gab es endlich einen Kreditgeber der letzten Instanz. Doch die Hilfsprogramme in Höhe von 300 Milliarden Euro waren ein Kraftakt. Die EU hat ihre Aufgaben noch längst nicht alle erfüllt.

Tandem statt Troika und Quartett

Im Dezember segnete die Eurogruppe die nächsten Reformen ab: Wenn künftig ein Eurostaat in finanzielle Schwierigkeiten gerät, wird der ESM mit der Kommission als Tandem auftreten. Bisher ergänzte die Institution die berüchtigte Troika aus EZB, Kommission und Internationalem Währungsfonds zu einem Quartett. Außerdem wird der ESM die Letztabsicherung für den europäische Bankenfonds (SRF) übernehmen.

Im neuen Tandem kommt dem Eurorettungsschirm die Rolle des "bad cop" zu. Während sich die Kommission als "good cop" um das Wohl der gesamten Union kümmert, wird der ESM aus der Perspektive der Gläubiger auftreten. "Das ist unser value added", betont Regling. Krisenländer erhalten nur Unterstützung, wenn sie Reformen durchziehen. Wenn es aber aussichtslos ist, dass ein Staat seine Schulden voll zurückzahlt, müssen – wie 2012 in Griechenland – die Gläubiger Abstriche machen. Dafür bietet sich der ESM bescheiden als "Vermittler" zwischen Staat und Gläubiger an; doch als demjenigen mit der Hand auf dem Feuerlöscher dürften Investoren noch stärker als bisher auf Regling hören.

Keine Angst vor Drachmen

Doch für Regling ist klar, dass die EU bessere Ausgleichsmechanismen zwischen unterschiedlichen Euro-Volkswirtschaften braucht: Derzeit arbeitet die EU an einer Bankenunion. Dazu gehört die umstrittene EU-Einlagensicherung. Damit würden Euroländer gemeinsam für Sparguthaben bis zu 100.000 Euro haften.

In Ländern wie Deutschland und Österreich gilt der Vorschlag als Türöffner zu einer Transferunion, wie Kritiker sagen. Regling teilt solche Bedenken nicht: "Mit einer glaubwürdigen gemeinsamen Einlagensicherung wären die Ängste der Sparer hinfällig." Wer sich sicher ist, dass seine Euro nicht über Nacht in Lira oder Drachmen umgewandelt werden, stürmt auch keine Bank, lautet das Argument.

Die europäische Einlagensicherung ist nur einer in einer Reihe von Vorschlägen, die unter ähnlichem Vorbehalt unter den Nettozahlern ins EU-Budget gesehen werden. Umstritten sind etwa eine gemeinsame Rückversicherung für Arbeitslose oder Eurobonds, bei denen die Schuldenaufnahme der Euroländer in einer Anleihe gebündelt wird.

Offene Vertrauensfragen

Damit sich auch Länder wie Deutschland auf derlei Vorschläge einlassen, müssten Banken ihre Risiken – faule Kredite und Anleihen der eigenen Länder – zuerst weiter abbauen, betont Regling. Dabei gebe es durchaus Fortschritte, aber sie müssten weitergeführt werden. Parallel dazu, müssten sich die Staaten an die Haushaltsregeln halten und Puffer aufbauen, die als erstes in einer Krise angezapft werden können.

Hier beißt sich die Katze in den Schwanz: Gerade die jetzigen Institutionen würden zu dem Reformunwillen beitragen, kritisiert Ex-Nationalbank-Präsident Claus Raidl. Damit der Euro eine "Erfolgsgeschichte" bleibe, müssten den Euroländern gewisse Freiheiten genommen werden. Ganz nach dem Vorbild Otto von Bismarcks, der eine starke politische Union der deutschen Länder als Basis für eine gemeinsame Währung sah.

Hier zeigt sich Regling optimistischer: Der Stabilitätspakt wurde oft gebrochen, aber er zeigte trotzdem seine Wirkung. In den vergangenen 20 Jahren blieb die Neuverschuldung der Eurozone deutlich hinter jener der USA und Japans zurück. Die Rettung der Krisenländer habe auch funktioniert. Schreckgespenster von Hyperinflation und Milliardentransfers von Steuerzahlern sein ausgeblieben.

Kritik an Steuerpolitik

Auch der jüngste Budgetstreit zwischen Rom und Brüssel sei kein Grund zur Panik. "Italien wird kein Kunde des ESM werden", ist Regling sicher. Die EZB fahre ihre unkonventionelle Geldpolitik nach US-Vorbild sachte zurück. Dank niedriger Zinsen konnten sich die Euroländer auf viele Jahre billigst verschulden.

Nicht überall sei der Reformwille groß genug: "Ich bin verärgert, dass manche Länder die Steuerpolitik blockieren", sagt der ESM-Chef, angesprochen auf die Rolle Irlands. Die Kommission versucht derzeit die Einstimmigkeit in Steuerfragen abzuschaffen. "Ich hoffe auch, dass es da Fortschritte geben wird." Denn bei Finanztransaktionssteuer und Digitalsteuer wäre "wirklich Bedarf da zu handeln".

Auf den Sanktnimmerleinstag verschoben scheint die Einführung von Eurobonds. Eine gemeinsame Verschuldung von Euroländern sei erst in ein bis zwei Jahrzehnten realistisch. Vorher müssen zwischen den Euroländern das Vertrauen in einen verantwortungsvollen Umgang mit den Staatsfinanzen gegeben sein. Mit Blick nach Rom oder Paris bleibt aber offen, auf welcher Basis dieses Vertrauen erwachsen soll. (Leopold Stefan, 17.1.2019)