Corbyn kann auch die Labour-Partei nicht wirklich einen.

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Der Einladung von Premierministerin Theresa May folgend haben Spitzenpolitiker aller Parteien am Donnerstag mit hochrangigen Regierungsmitgliedern über Auswege aus Großbritanniens Brexit-Blockade beraten. Nach der vernichtenden Absage des Unterhauses an das Verhandlungspaket aus EU-Austrittsverlag und politischer Zukunftserklärung mit 432-202 Stimmen muss die Regierungschefin am Montag dem Parlament einen neuen Plan vorlegen. Über ihn soll am 29. Januar, genau zwei Monate vor dem geplanten Austrittstermin, abgestimmt werden.

Freilich herrscht keine Klarheit, ob dann eine Mehrheit für eine der möglichen Varianten zustande kommt. Zurecht hatte May bereits am Dienstag darauf hingewiesen, dass ihre brutale Niederlage "uns nichts darüber mitteilt, was das Parlament unterstützen würde". Deutlich ist nur, was eine große Mehrheit von Abgeordneten vermeiden will:

Chaos-Brexit / "No Deal"

Das Ausscheiden der sechstgrößten Wirtschaftsmacht der Welt ohne Anschlussregelung hätte für Menschen und Unternehmen beiderseits des Ärmelkanals schlimme Folgen, darin besteht weitgehende Einigkeit. Allerdings hat das Unterhaus im Sommer auf Druck der Brexit-Ultras den Austrittstermin gesetzlich festgeschrieben. Deshalb verweigerte Labour-Chef Jeremy Corbyn das angebotene Gespräch in der Downing Street: May müsse zunächst No Deal regierungsamtlich ausschließen.

May betonte am Donnerstagabend allerdings, dass ein solch chaotischer Brexit schlicht und ergreifend nicht ausgeschlossen werden könne. Damit würde sie auch jene rund vier Dutzend Hardliner in den eigenen Reihen verärgern, die No Deal für die beste Lösung halten. Zu ihnen gehören die früheren Minister David Davis und Iain Duncan Smith, die am Donnerstag zu den Gesprächspartnern von May sowie deren Ministern Michael Gove und David Lidington gehörten; ihrer Meinung nach wird die EU unter dem Druck des bevorstehenden Chaos an den Grenzen den Briten Zugeständnisse machen. Später könne man dann einen Freihandelsvertrag wie mit Kanada (CETA) aushandeln.

Neufassung von Austrittsvertrag und politischer Erklärung

May selbst hofft auf Brüsseler Entgegenkommen für eine neue Version ihres im November vereinbarten Verhandlungspakets. Allerdings entzündete sich die Kritik am Vertrag vor allem an der sogenannten Auffanglösung für Nordirland; von dieser wollen Brüssel und vor allem Dublin aber nicht abweichen, um die innerirische Grenze in jedem Fall so offen wie bisher zu halten. Allerdings hätte der Chaos-Brexit auch neue Kontrollen zur Folge.

Zollunion mit der EU

Teil der Auffanglösung wäre ein zeitweiliger Verbleib des gesamten Königreichs in der EU-Zollunion. Die Labour-Opposition wünscht sich hingegen eine permanente Zollunion mit dem grössten Binnenmarkt der Welt, um die Zulieferketten der vernetzten Unternehmen zu schützen. Zusammen mit einer Ausnahmeregelung für Nordirlands Agrarindustrie würde dies auch das irische Problem weitgehend lösen. Diese Lösung werden die hochangesehenen Labour-Ausschussvorsitzenden Yvette Cooper (Inneres) und Hilary Benn (Brexit) bei ihrem Besuch in der Downing Street in den Mittelpunkt gestellt haben. Auf das Duo richten sich die Hoffnung vieler Kompromisswilliger im Unterhaus; sie könnten gemeinsam mit der Finanzausschuss-Chefin Nicola Morgan und dem Ex-Staatssekretär Nicholas Boles (beide Torys) eine Partei-übergreifende Lösung organisieren.

Eine Zollunion komme nicht in Frage, argumentiert hingegen Premier May, weil dann Großbritannien keine eigenen Freihandelsverträge abschließen könnte. Dabei sei dies den Austrittswählern im Referendum vom Juni 2016 versprochen worden. Schwerer dürfte für die Politikerin wiegen, dass sie einen ihrer ältesten politischen Weggefährten, den Brexiteer Liam Fox, zum Aussenhandelsminister gemacht hat. Wenn Fox geht, verliert die 62-Jährige entscheidenden Rückhalt im Kabinett.

Verbleib im Binnenmarkt / EWR-Mitgliedschaft

Diese Lösung hat sich eine Gruppe um Tory Boles und den Labour-Abgeordneten Stephen Kinnock auf die Fahne geschrieben. Nicht zuletzt die Finanzindustrie wäre begeistert. Auch könnte die Insel aus der gemeinsamen Agrar- und Fischereipolitik ausscheiden, die viele Beteiligte enorm verbittert. Allerdings melden die Brexit-Ultras und eingefleischte Brexit-Kritiker wie gleichermaßen Zweifel an: "Warum sollte ein so großes Land wie Großbritannien wie Norwegen sämtliche EU-Regeln übernehmen ohne sie mitzubestimmen?" lautet der Einwand von Tony Blair.

Zweites Referendum

Labours Ex-Premier und sein Nachfolger Gordon Brown, die schottischen und walisischen Nationalisten, die Liberaldemokraten, Grünen, drei Viertel des Labour-Parteivolks sowie eine Reihe prominenter Torys – allesamt wünschen sie sich eine neuerliche Volksabstimmung und damit die Revision des EU-Austritts. Dazu müsste aber der Austritt ausgesetzt und ein entsprechendes Gesetz im Unterhaus erlassen werden. Zudem bleibt unklar, welche Frage oder Fragen man dem Stimmvolk vorlegen würde. Die Premierministerin lehnt diese Variante strikt ab.

Mehrere junge Labour-Vorderbänkler warnten laut dem britischen "Guardian" zudem ihren Parteichef, dass dieser mit einer signifikanten Zahl an Rücktritten rechnen müsse, sollte Corbyn auf ein Referendum bestehen. (Sebastian Borger aus London, 17.1.2019)