Präsentierten Maßnahmen gegen Gewalt an Frauen: Karin Kneissl, Juliane Bogner-Strauß und Karoline Edtstadler.

Foto: Matthias Cremer

Die Frauenmorde zum Jahresbeginn, in so kurzem Zeitraum, mögen eine wichtige Diskussion über patriarchale Gewalt und männliche Besitzrechtvorstellungen über Frauen in Gang setzen. Zugleich besteht leider jetzt schon die Gefahr, dass diese Auseinandersetzung – wie viele andere gesellschaftliche Fragen – am Stammtisch und im politisch-medialen Diskurs dadurch verkürzt und banalisiert wird, indem sie auf die Problematik von Migration, Flucht und Asyl geschoben wird.

Wenn der Ruf nach Maßnahmen – wie es in Forderungen nach Ausgangssperre und konzentrierter Unterbringung ja schon aufblitzt – sich darin erschöpft, dass nun strenger gegen Asylwerber und rauer mit Menschen "fremder" Herkunft umgesprungen werden muss, werden die Opfer ein weiteres Mal symbolisch missbraucht. Das notwendige, allein notwendende Trauern wird in blinder Selbstgerechtigkeit ertränkt. Am Ende wird so aus gebotener Betroffenheit ein Bad in Krokodilstränen, die den Tod junger Frauen durch migrantische Mörderhand beweinen, während der Tod junger Frauen wegen unterlassener Hilfeleistung im Mittelmeer entweder ignoriert oder zynisch abgetan, ja sogar tausendfach mitverschuldet wird.

Schulterzucken

Wo ist der Aufschrei über die psychische und physische Gewalt in Flüchtlingslagern, die Europa flüchtlingsfrei halten sollen? Wer von jenen, die aus Frauenmorden ein Migrationsproblem machen, empört sich, wenn durch Abschiebungen Familien zerrissen oder Menschen beiderlei Geschlechts in Kriegs- und Notstandsgebiete zurückgeschickt werden? Wann zählt ein Leben, wann zählt es nichts? Wann ist die Vernichtung von Leben Anlass für öffentliche Erregung, wann wird dies schulterzuckend hingenommen?

Die Frauenmorde, so wie alle Gewaltexzesse und Unterdrückungsdynamiken, könnten ein Anlass sein, die gesellschaftliche Bedeutung von Migration zu erkennen. Migration fordert Gesellschaften in ihren Selbstverständlichkeiten heraus, keine Frage. Sie wird, weil sie Neues und Fremdes mit sich bringt, ein Stachel im schlafenden Bewusstsein von Gesellschaften, oder wie Adorno es ausdrückte: "Nur Fremdheit ist das Gegengift zur Entfremdung." Der Satz mag rätselhaft sein, aber auf die gegenwärtigen Ängste und Debatten bezogen ist er leicht zu deuten: In dem, was uns als fremd und eingeschleust erscheint, steckt eine Botschaft, nämlich auf all das zu schauen, was uns vermeintlich vertraut ist und das wir deshalb als gegeben hinnehmen, ohne es hinterfragen zu können.

Patriarchale Muster

Migration ist kein neues Phänomen, sondern eine Grundbedingung menschlicher Existenz, ohne die es keinen Austausch, keine Infragestellung des Bewährten zugunsten von Neuem gegeben hätte – ohne die Herausforderung durch Fremdes und Neues bleibt das Gewohnte starr.

Somit könnte gerade umgekehrt argumentiert werden: Menschen aus Ländern, in denen die patriarchalen Herrschaftsmuster noch gefestigter sind als in einer säkularisierten Gesellschaft, stoßen hier auf Diskurse und Regelungen, die eine Veränderung im Denken und Handeln hier wie dort anstoßen – leidvoll womöglich wie jeder Anstoß, aber auf Dauer weiterführend. Der Austausch zwischen Herkunfts- und Ankunftsländern wird, über kurz oder lang, auch an jenen patriarchalen Mustern rühren, die am Herkunftsland mit dem Vergrößerungsglas wahrgenommen, im eigenen Land unter einem Schleier vermeintlich durchgesetzter Emanzipation verborgen bleiben.

Soziales Drama

Morde an Frauen, die in hohem Maße nicht von blutrünstigen muslimischen oder rabiaten südländischen Männern, sondern von österreichischen Staatsbürgern verübt werden, oft unbescholten und als nette Nachbarn geschätzt, verweisen auf patriarchale Muster im Zusammenleben der Geschlechter, auf subtile Mechanismen der Unterdrückung, die nicht allein deshalb verschwunden sind, weil wir uns im Sinne politischer Korrektheit um Geschlechtergleichheit bemühen.

Gewalt in Familien ist kein Migrationsproblem, kein Religionsproblem. Sie ist vielfach ein soziales Drama, ein Ausbruch unbearbeiteter Kränkungen, nagender narzisstischer Verletzungen, fehlender Bewältigungsstrategien für Geschlucktes und Verdrängtes, die Tragödie uneingestandener Ohnmacht oder zumindest Verunsicherung eines Geschlechts, das seine Vormachtstellung nicht mehr anders zu begründen weiß als durch nackte Gewalt.

Der "autoritäre Charakter", wie Adorno ihn an jener Generation verortete, die in zwei Weltkriege marschierte und sich autoritären Regimen willfährig ergab, ist nicht verschwunden, er meldet sich zurück in politischen Vorbildern, die nicht trotz, sondern dank ihrer Brachialität gegenüber Schwächeren punkten, auch gegenüber dem vermeintlich schwächeren Geschlecht.

Entpatriarchalisierung

Männer sind, immer noch, gefangen in einem Rollenbild, dem sie in einer Welt, die der Frau zumindest formal selbe Rechte zuschreibt, gar nicht mehr entsprechen können. Der mögliche Ausweg, eine Entpatriarchalisierung der Machtbeziehungen in einer Gesellschaft, ist erst zugänglich, wenn man(n) sich seine Schwächen und Ängste und Unzulänglichkeiten eingestehen darf. Erst auf dieser Ebene geteilter Unvollkommenheit können Geschlechter, egal welche und wie viele, eine Grundlage für fairen, respektvollen, wertschätzenden, einander stützenden Umgang finden.

Das erlaubt beileibe keine pädagogische Utopie. Gewalt wird es wohl leider weiterhin geben, ihr kann am ehesten damit begegnet werden, dass sie als Sprache der Ohnmacht verstanden wird. Überall da, wo Ermächtigung möglich wird, wo Menschen in ihre Macht kommen, aus ihrem Leben etwas zu machen, mit Niederlagen und Erfolgen verantwortlich umzugehen, kann die existenzielle Not Sprache finden, statt in Gewalt umzuschlagen. Es ist traurig, wenn erst eine Mordserie darüber nachzudenken zwingt. (Hans Karl Peterlini, 17.1.2019)