Im Atelier Setzer-Tschiedel entstanden Aufnahmen wie diese: eine Szene aus Richard Strauss' erster Ballettkomposition "Josephs Legende" 1922.
Foto: Archiv Setzer-Tschiedel

Mitten in Wien hat sich ein Bestand an historischen Fotografien erhalten, der nicht nur in ihrem Umfang weltweit einzigartig sein dürfte: 24.000 Glasnegative mit Porträtaufnahmen zum Teil prominenter Mitglieder der Wiener Gesellschaft aus den Jahren 1911 bis 1979. Vergleichbare Archive wurden entweder im Zweiten Weltkrieg zerstört oder später vernichtet. Nicht so der Fundus des Ateliers Setzer-Tschiedel, zu dem auch handschriftliche Dokumente wie historische Namensindexbücher und Adressbücher gehören, der von den Nachkommen bis heute verwahrt wird.

Die Geschichte dazu begann 1909, als der an der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt ausgebildete Franz Xaver Setzer (1886–1939) sein Fotoatelier gründete. Angesiedelt an der Ecke Neustiftgasse und Hofstallstraße, heute Museumsstraße, bezog er im Dachgeschoß sein lichtdurchflutetes Studio. Innerhalb weniger Jahre avancierte er zu einer der ersten Adressen für Porträtaufnahmen und ließ sich hier die Wiener Prominenz bis hin zu Erzherzog Friedrich ablichten.

Das Atelier Setzer-Tschiedel einst und jetzt.
Foto: Archiv Setzer-Tschiedel

Die Ergebnisse fanden nicht nur im familiären Umfeld Verwendung, sondern wurden teilweise auch in Illustrierten und Tageszeitungen veröffentlicht. Die Stars der Wiener Theater- oder Opernbühne ließen – auch für ihre Fangemeinde – Fotopostkarten produzieren: wahlweise in der Version eleganter Porträtaufnahmen oder auch aufwendig inszenierter Sequenzen aus Theater- oder Ballettstücken.

Aufnahmen als Pressefotos

Teils fungierten solche Aufnahmen auch als Pressefotos, etwa im Falle der Wiener Erstaufführung der ersten Ballettkomposition von Richard Strauss am 18. März 1922, die schon im Jänner des Jahres im Studio Setzers entstand (Bild oben). Die Josephs Legende, mit einem Libretto von Harry Graf Kessler und Hugo von Hofmannsthal, mit Marie Gutheil-Schoder und Toni Birkmeyer, Vater des später populären Balletttänzers und Choreografen Michael Birkmeyer, in den Hauptrollen. Die aus Weimar gebürtige Gutheil-Schoder war eine von Gustav Mahler aus Bayreuth "importierte" Mezzosopranistin, die sich auch für zeitgenössische Musik eingesetzt und Werke Arnold Schönbergs gesungen hat. Seit 1920 war sie außerdem die Ehefrau des damals schon zu Ruhm gelangten "Kunstphotographen" Franz Setzer.

Charlotte Bühler (1893–1974) gilt als eine der wichtigsten Psychologinnen des 20. Jahrhunderts. Sie war ab 1923 in Wien in der Kinder- und Jugendpsychologie tätig und wurde 1929 außerordentliche Professorin an der Universität Wien. Die Porträtaufnahme entstand 1930 im Atelier von Franz Setzer.
Foto: Fotoarchiv Setzer-Tschiedel

Im Laufe der Jahre verlegte er sich verstärkt auf die Kundenakquisition und überließ die Leitung des Ateliers Marie Karoline Tschiedel, ebenfalls eine Absolventin der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt. Als Setzer im Jänner 1939 mit nur 52 Jahren verstarb, übernahm sie den Betrieb und führte ihn bis Dezember 1979 kurz vor ihrem Tod unter dem Namen Setzer-Tschiedel weiter. Später nutzte ihr Neffe Walter Tschiedel die Geschäftsräume als Büro. So blieb das Atelier über die Jahre und bis heute baulich nahezu unverändert mitsamt Archivbestand erhalten. Ein Glücksfall für Historiker oder Biografen, zu deren "Forschungsgegenstand" sich zum Teil bisher unbekannte Aufnahmen erhalten haben.

4.100 Namen registriert

Rund 4.100 Namen finden sich in den Registerbüchern, von Prominenten wie Stefan Zweig, Arthur Schnitzler, Giacomo Puccini oder Strauss, teilweise gerieten die porträtierten Kaufleute, Bankiers (Ignaz Ephrussi), Industrielle, Ärzte und Wissenschafter (unter anderen Fritz Lieben) aber in Vergessenheit, wiewohl sie das Gesellschaftsleben prägten und zur Identität Wiens beitrugen. Dazu gehörten auch Mitglieder des Großbürgertums, die nach dem "Anschluss" 1938 zur Emigration gezwungen waren oder dem NS-Regime zum Opfer fielen.

Ihre "Bilder" haben sich teils nachweislich, teils vermutlicher in diesem Archiv erhalten: Denn bisher ist nur ein Bruchteil der Porträtierten identifiziert, steht dieses nun im Jüdischen Museum Wien präsentierte Forschungsprojekt doch erst am Beginn. Das erklärte Ziel ist eine öffentlich zugänglich Bild- und Personendatenbank, die künftiger Forschung als Quelle dient.

Ignaz Leo Karl Ritter von Ephrussi (1906–1994) im Alter von 13 Jahren. Der Enkel des Bankiers Ignaz von Ephrussi (1829–1899) war ein bekannter Kunstsammler. Eines seiner Netsuke wurde durch Edmund de Waals Bestseller "Der Hase mit den Bernsteinaugen" weltberühmt.
Foto: Fotoarchiv Setzer-Tschiedel

Hoffnung auf Sponsoren

Dazu müssen handschriftliche Dokumente im Umfang von 2.000 Seiten gescannt und die darin vorhandenen Informationen in eine Datenbank übertragen werden, um einen Abgleich und eine Namens-Bild-Zuordnung mit den 24.000 digitalisierten Glasplatten zu ermöglichen.

Über die erfassten Personen gilt es nun, biografische Daten zu recherchieren. Dem Team gehören deshalb nicht nur die Familie Tschiedel, sondern auch Genealogen wie Wolf-Erich Eckstein und Georg Gaugusch oder die Historikerin Marie-Theres Arnbom an.

Einziger Haken derzeit: Die Finanzierung des auf drei Jahre anberaumten Projekts ist erst zu zwanzig Prozent gesichert – Sponsoren wären deshalb sehr willkommen. (Olga Kronsteiner, 18.1.2019)