Ezio Pizzi empfängt die Gäste vor seinem weiß getünchten Landhaus. Es ist mitten im Winter, aber in Condofuri in Südkalabrien sind die Temperaturen an diesem Tag beinahe sommerlich. Um das Eingangstor rankt sich eine rote Bougainvillea, auf der Terrasse blüht der Hibiskus. Zu Füßen der Besucher liegt eine große Bergamotte-Plantage: Aus dem dunklen Blätterwald leuchten gelbe und grüne Früchte. Hinter Pizzis Plantage ist das hellblaue Ionische Meer mit seinen kilometerlangen, fast unberührten Stränden zu erkennen. Über die Feldwege rumpeln kleine Traktoren, auf deren Ladeflächen sich Kisten mit frisch gepflückten Bergamotten stapeln: Die Ernte ist in vollem Gange.

Der Avvocato, wie Pizzi von seinen zahlreichen Bediensteten genannt wird, ist Kalabriens Bergamotte-Baron: Er ist Präsident des Konsortiums Unionberg, in dem 486 Bergamotte-Produzenten in der Provinz Reggio Calabria vereinigt sind. Außerdem ist es Präsident des Consorzio di Tutela del Bergamotto di Reggio Calabria DOP, das über die Einhaltung der Qualitätsvorschriften des Bergamotteöls wacht. Die Parfümeure von berühmten Häusern wie Dior, Chanel oder Louis Vuitton gehen bei Pizzi ein und aus. Das neue "Sauvage" von Dior, das Anfang 2018 auf den Markt kam, sei in seinem Wohnzimmer erfunden worden, sagt der Avvocato nicht ohne Stolz.

Hohe Verkaufspreise

Die Produktion der Bergamotte-Essenz in der Provinz Reggio Calabria erlebt seit einigen Jahren einen bemerkenswerten Aufschwung. Die Anbaufläche hat sich in den letzten fünf Jahren von 1000 auf 1600 Hektar erhöht. Noch handelt es sich dabei um ein Nischenprodukt – aber die Produzenten erzielen für ihre Früchte einen stolzen Preis: Derzeit erhalten sie rund 75 Cent für ein Kilo. Zum Vergleich: Die Orangen-Produzenten in der Ebene von Gioia Tauro, die nur wenige Dutzend Kilometer nördlich von Reggio Calabria liegt, müssen sich mit sechs bis sieben Cent begnügen, also mit weniger als einem Zehntel. Um gegen die ausländische Konkurrenz bestehen zu können, greifen die Orangenbauern auf die sklavenähnliche Arbeit von afrikanischen Migranten zurück.

"Bergamotte-Baron" Ezio Pizzi sorgte für hohe Verkaufspreise.
Foto: Dominik Straub

Die Bergamotte-Produzenten brauchen dagegen keine Konkurrenz zu fürchten: Die kälteempfindliche Parfum-Frucht wächst zwar auch in Brasilien, Argentinien, an der Elfenbeinküste und im benachbarten Sizilien – aber nur die Pflanzen, die entlang des schmalen, etwa einhundert Kilometer langen Küstenstreifens zwischen dem Tyrrhenischen und dem Ionischen Meer in der Provinz Reggio Calabria angebaut werden, produzieren ein qualitativ hochwertiges Öl in einer Menge, dass sich die Extraktion der Essenz wirtschaftlich lohnt. Mit anderen Worten: Pizzi und seine Konsortien verfügen faktisch über ein Monopol.

Monopolstellung

Die Monopolstellung lässt sich in der Vereinbarung ablesen, die Pizzis Konsortien mit Vertretern der internationalen Parfum- und Kosmetikindustrie im Jahr 2009 unterzeichnet hat. Der Mechanismus ist einfach: "Laut der Vereinbarung muss der Preis jedes Jahr ein wenig steigen", sagt der Bergamotte-Baron, "und im ersten Jahr haben wir gleich eine Verdoppelung des Preises durchgesetzt." Ein Kilo Bergamotte-Essenz habe im Jahr 2008 lächerliche 36 Euro gekostet. "Heute sind wir bei 160 Euro – wir haben den Preis also mehr als vervierfacht." Die Jahresproduktion liegt bei 25.000 Tonnen Bergamotte-Früchte; daraus werden 150 Tonnen Bergamotteöl hergestellt.

Grund zu Optimismus

"Die Bergamotte ist das wichtigste Exportgut unserer Provinz", betont Ricardo Mauro, der Vize-Bürgermeister Metropolitanstadt Reggio Calabria. Im ersten Halbjahr 2018 hätten sich die gesamten Exporte um 56 Prozent erhöht. "Der Bergamotte-Anbau bietet auch jungen Menschen gute Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten – tatsächlich haben viele Junge eigene Betriebe gegründet", sagt Mauro. In einem Gebiet, das sonst mit hoher Arbeitslosigkeit und mit der Präsenz der Mafia-Organisation ’Ndrangheta von sich reden macht, sei dies "ein Grund zu Optimismus".

Bio-Öl im Tee

Einer der Pioniere des Bergamotte-Booms ist der 54-jährige Ugo Sergi. Der ehemalige Anwalt produziert auf seinem Bio-Betrieb jährlich zwischen 150 und 200 Tonnen der duftenden Zitrusfrucht. "Wir verkaufen unser Bergamotteöl an Kunden in der ganzen Welt", sagt Sergi. Ein wichtiger Kunde sei aber auch ein Hersteller von Bio-Tee in Seattle, der allein jedes Jahr tausend Kilo Öl für seinen Earl Grey Tea abnimmt. Sergi hat den Betrieb vor 25 Jahren von seinem Vater übernommen, der die Plantage nie ganz aufgegeben hatte, obwohl er damals nichts mehr damit verdiente.

Ugo Sergi ist einer der Pioniere des Bergamotte-Anbaus in Kalabrien.
Foto: Dominik Straub

"Mein Vater konnte wohl nicht aufhören, denn der Geruch der Bergamotte wirkt wie eine Droge", sagt Sergi lachend. Bergamotten werden in der Aromatherapie verwendet, da er die Produktion der Glückshormone Dopamin und Serotonin anrege. "Die Frucht gibt dir gute Laune, sie wirkt antidepressiv und schmerzlindernd – deshalb fühlte sich mein Vater gut, obwohl die Preise im Keller waren." Neben dem Bergamotte-Aanbau bietet Sergi Gästezimmer für Wandertouristen an und organisiert Trekking-Touren durch das weitgehend unberührte Aspromonte-Gebirge. Sein Betrieb liegt in der atemberaubenden Schwemmlandschaft des Flusses Amendolea, der im Aspromonte entspringt und einige Kilometer unterhalb der Plantage ins Ionische Meer mündet.

Limonade für Luxemburg

Der Bergamotte-Boom könne dazu führen, dass sich in Zukunft noch deutlich mehr Touristen für die Schönheiten und Spezialitäten der Provinz von Reggio Calabria interessieren werden, ist Vize-Bürgermeister Ricardo Mauro überzeugt. Auf den Bergamotte-Zug aufgesprungen sind auch schon andere Betriebe, zum Beispiel der kleine Getränkehersteller La Spina Santa in Bova Marina. Antonino Autelitano, der Patron des Unternehmens, produziert seit einigen Jahren mit dem Saft der Berga motte eine erfrischende Limonade namens Bergotto. Das Getränk ist inzwischen in ganz Italien zu kaufen und wird auch bereits nach Tschechien und nach Luxemburg exportiert. Die Umsatzzahlen wachsen zweistellig: "Wir sind vom eigenen Erfolg überwältigt", sagt Autelitano. Seit einigen Wochen stehe man "in Verhandlungen mit China".

In der Region hofft man auf mehr Touristen. Die könnten dann zum Beispiel im Aspromonte-Gebirge wandern gehen.
Foto: iStock / Nata Rass

Die Verwendung der Bergamotte als Nahrungsmittel – insbesondere in Form von Säften – soll für die Frucht aus dem tiefen Süden Italiens "zu einer neuen Zeitenwende" führen, sagt Bergamotte-Baron Pizzi. Der umtriebige Avvocato hat an drei verschiedenen Universitäten Studien in Auftrag gegeben, um die gesundheitsfördernden Eigenschaften der Bergamotte zu untersuchen. Die Resultate legen nahe, dass der tägliche Genuss von einem Deziliter Bergamotte-Saft ausreichen könnte, um den Cholesterinspiegel und wahrscheinlich auch den Zuckerspiegel im Blut markant zu senken. Da bei der Produktion der Essenz nur die Schale der Bergamotte verwendet wird, wäre der Rohstoff für den Saft in Hülle und Fülle vorhanden: Das Fruchtfleisch ist bisher hauptsächlich als Tierfutter verwendet worden.

Förderliche Studien

"Für unser Territorium sind diese Studien nicht nur gesundheitlich ein Glücksfall, sondern auch wirtschaftlich", betont Pizzi. Dank ihnen könnte die Bergamotte auch als Nahrungsmittel der Durchbruch gelingen. Kleine Mengen der frischen Früchte werden schon heute nach Norditalien und Spanien exportiert – doch das Potenzial ist laut Pizzi enorm: "Wenn wir die 450 Millionen Europäer überzeugen könnten, pro Jahr auch nur eine einzige Bergamotte zu verzehren, dann könnten wir unsere heutige Anbaufläche verzehnfachen, und die Zahl der Beschäftigten des Sektors würde von heute rund 7000 auf rund 30.000 steigen", hat der Avvocato errechnet. "Momentan", sagt Pizzi, "ist die Provinz Reggio Calabria die ärmste Europas – dank der Bergamotte könnte sie zur reichsten werden. Das ist mein Traum, das gibt mir Mut und Kraft." (Dominik Straub, 19.1.2019)