Demonstranten in Frankreich stellen jene Szene nach, in der Polizisten eine Gruppe protestierender Schüler zwangen, sich wie Schwerverbrecher niederzuknien.

AFP / Stephane de Sakutin

Es sind Bilder, die bleiben werden: Polizisten nehmen eine Gruppe von Schülern in Gewahrsam, zwingen sie, sich in Reih und Glied niederzuknien und die Hände hinter dem Kopf zu verschränken – Szenen, die an die Behandlung von Schwerverbrechern und Kriegsgefangenen erinnern. Ein solcher Umgang mit Schülern aber, die gegen Reformen im Bildungsbereich protestiert und dazu Blockaden errichtet hatten, empörte die Öffentlichkeit.

Der Vorfall ereignete sich Anfang Dezember am Rand der Gelbwesten-Proteste, die Frankreich seit Monaten in Atem halten. Obwohl diese nach sozialpolitischen Zugeständnissen der Regierung Macron an Zugkraft verloren haben, werden sie auch diesen Samstag wieder stattfinden. Was die Bewegung von Anfang an charakterisierte, ist die Gewaltbereitschaft, mit der die Auseinandersetzung seitens der tausenden Protestierenden gesucht wurde, und die Härte, mit der die Exekutivkräfte darauf reagierten: Zu Massenfestnahmen kam es häufig schon im Vorfeld der Demonstrationszüge, also gewissermaßen "präventiv".

Der Wille zum Strafen

Die Debatte um die Gelbwesten-Proteste sowie um die Dualität politischen Aufbegehrens und staatlicher Repression spiegelt sich in zwei Büchern wider, die aktuell im Suhrkamp-Verlag erschienen sind: Der Wille zum Strafen des französischen Soziologen Didier Fassin; und Puer robustus – eine Philosophie des Störenfrieds, das der deutsche Autor Dieter Thomä 2016 veröffentlichte und das nun mit einem Nachwort zu Donald Trump neu aufgelegt hat.

Fassin, der als Professor in Princeton lehrt, diagnostiziert in seiner gut lesbaren Studie ein neues "Zeitalter des Strafens", das sich in den sogenannten liberalen, westlichen Demokratien seit den 1970er-Jahren Bahn breche und aktuell eine Konjunktur erfahre. Unterfüttert durch umfassendes Zahlenmaterial und erschütternde Fallbeispiele mit Fokus auf die USA und Frankreich ortet Fassin einen Trend zur Verschärfung des staatlichen Strafvollzugs, der in "keiner direkten Korrelation zur Entwicklung von Kriminalität" stehe.

Vor allem äußere sich das in immer längeren Haftstrafen, der exzessiven Verhängung von Untersuchungshaft und Gefangenenzahlen, die so hoch sind wie nie zuvor: Saßen in den USA 1970 noch 200.000 Menschen in Gefängnissen, sind es heute 2,3 Millionen, in Frankreich eine Viertelmillion und damit so viele wie seit der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht mehr. Erdrückende Zahlen, wenn man bedenkt, dass die weltweiten Inhaftierungszahlen auf "nur" zehn Millionen geschätzt werden.

Zweiklassen-Justiz

Fassin kritisiert eine Zweiklassen-Justiz, in der Ärmere härter, häufiger und willkürlicher bestraft würden als Bessergestellte. Es greife eine "populistische Kriminalpolitik" um sich, die "die herrschenden Schichten bewusst ausklammert und die unteren Schichten besonders hart trifft. Steuerhinterziehung wird im Allgemeinen eher toleriert als Ladendiebstahl", schreibt Fassin. Die Eliten des politmedialen Geflechts würden den in der Bevölkerung gestiegenen "Willen zum Strafen" nähren und ihm sogar vorgreifen. Es sei ein Teufelskreis in Gang gesetzt worden, in dem sich Armut, gepaart mit rassistischer Repression in den Ghetto-Banlieues, und islamistische Gewaltexzesse gegenseitig befeuern würden.

Das Verhältnis zwischen politischer Ordnung, zu der die staatliche Sanktionierung konstitutiv dazugehört, und deren Störung nimmt der Philosoph Dieter Thomä in seiner aktualisiert vorliegenden Abhandlung in den Blick: Er verfolgt den Puer robustus, den "kräftigen Kerl", in seiner Rolle als Störenfried des politischen Status quo von seiner erstmaligen philosophischen Beschreibung durch Thomas Hobbes im 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart. Thomä charakterisiert in seinem unterhaltsam geschriebenen Ritt durch die Geistesgeschichte verschiedene Typen des Störenfrieds, der einmal als notwendiger Erneuerer im Dienste der Aufklärung, an anderer Stelle als gefährlicher Zerstörer auftritt.

"Sperrt sie ein!"

In der nun erschienenen Neuauflage des Werks geht Thomä auch auf den Populismus, insbesondere auf Donald Trump, ein. Zwar führe der Populismus einen Kampf gegen den massiven Störenfried, der als Terrorist auftritt, doch hätten beide in Wahrheit viel Gemeinsames: "Wie bei Fundamentalisten, so dominiert auch bei Populisten das Selbstverständnis einer intakten, geschlossenen Identität und das Idealbild einer geschlossenen Ordnung", so Thomä.

Im Verhältnis des Populisten zum Strafen ergibt sich auch die Anknüpfung an Fassin: "Lock her up!" ("Sperrt sie ein!") forderten Donald Trumps Fans im Wahlkampf mit Blick auf Hillary Clinton. Trump selbst inszeniert sich als "Rächer der Entrechteten", feuert wahllos Mitarbeiter, stört und straft im selben Atemzug, wenn er etwa kritischen Journalisten vor laufenden Kameras das Wort entzieht. Als Puer robustus in Reinform hat Trump damit Erfolg.

Fassins und Thomäs Studien bieten eine wunderbar anregende Lektüre für all jene, die sich mit aktuellen politischen "Störfeuern" in Frankreich, den USA oder auch Brexit-Großbritannien auf abstrakterer Ebene beschäftigen wollen. (Stefan Weiss, 19.1.2019)