Bei Multipler Sklerose lassen Muskelkrämpfe Schmerzen einschießen...

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... Dagegen helfen Medikamente mit THC- oder CBD-Gehalt. Um ihre Legalität wird gerungen.

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Alles begann vor elf Jahren. Damals erhielt die heute 28-jährige Carina Rathammer die Diagnose MS. Seither hat sie die Krankheit gut im Griff, nur die Nervenschmerzen im linken Arm, so erzählt sie, "die habe ich einfach nicht wegbekommen". Bis sie sich zum ersten Mal ein CBD-Öl im Internet bestellt hat. Das war vor einem halben Jahr. "Es hat zwei Wochen gedauert, dann war auch der Schmerz im linken Arm endlich weg, und jetzt schlafe ich viel schneller ein", sagt Rathammer. Seither nimmt sie ein bis zwei Tropfen täglich. Wenn die Schmerzen stärker sind, erhöht sie die Dosis.

Cannabidiol (CBD) ist ein Wirkstoff der Hanfpflanze, der keine psychoaktiven Eigenschaften besitzt und deshalb nicht als Suchtgift gilt, somit also auch nicht rezeptpflichtig ist. Konsumenten können sich Produkte im Internet bestellen und konnten sie bis vor kurzem in einschlägigen Geschäften kaufen (siehe unten).

Hilft bei Übelkeit

CBD wirkt entzündungshemmend, antiepileptisch und soll gegen Übelkeit helfen. Eine Eigenschaft, die auch dem Wirkstoffkollegen THC nachgesagt wird. Er ist der wohl berühmteste Inhaltsstoff der Cannabispflanze: Delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) wirkt muskelentspannend, schmerzdistanzierend und psychoaktiv. Für MS-Patienten sind das verschreibungspflichtige Dronabinol (THC) und der ebenfalls rezeptpflichtige Mundspray Sativex – ein Kombinationspräparat aus CBD und THC – die einzigen legal erhältlichen Arzneimittel mit THC-Gehalt in Österreich.

Medikamente mit Cannabis-Wirkstoffen sind bei multipler Sklerose eine Option, wenn andere Arzneimittel gegen Spastik, also die einschießenden Schmerzen durch Muskelkrämpfe, nicht wirksam sind. "Cannabis führt bei MS-Patienten zur Linderung von Schmerzen, hilft bei Inkontinenz und sorgt für einen besseren Schlaf", weiß die Cannabis- und MS-Expertin Felicita Heidler vom Klinikum Hainich im deutschen Thüringen.

Zu wenige Studien

Belege dafür hat sie hauptsächlich aus den Erfahrungen ihrer Patienten, denn wissenschaftliche Studien zur Wirksamkeit gibt es viel zu wenige, so Heidler. Die bisherigen Untersuchungen haben zwar gezeigt, dass Cannabis bei MS hilft, "es wird aber gestritten, ob die Pflanze nur eine schmerzdistanzierende Wirkung hat, die Patienten ihrem Schmerz gegenüber also gleichgültiger werden, oder ob sie die Beschwerden ursächlich beherrscht", so Heidler.

Sie kennt nur wenige Patienten, die freiwillig auf Cannabis-Präparate verzichten, entweder weil sie sich "high" fühlen oder sie den Eindruck haben, dass die Medikamente persönlichkeitsdistanzierende Effekte haben.

Unbegründete Angst

Tatsächlich keine Option sind die Arzneimittel für Menschen, die bereits eine koronare Herzerkrankung oder eine psychiatrische Vorerkrankung haben, etwa eine bipolare Störung oder Psychosen. "Als Arzt muss man genau sein und eine Familienanamnese machen, bevor Cannabis-Medikamente verschrieben werden, denn eine bereits vorhandene Schizophrenie können sie verstärken", so Heidler. Gibt es keine Vorveranlagung, ist das Risiko, psychiatrische Erkrankungen zu entwickeln, gering. Auch die Angst, süchtig zu werden, ist unbegründet, sagt Heidler.

Apropos: Das Drogenklischee ist weit verbreitet. Damit müssen auch Patienten zunächst umgehen lernen. Etwa die 38-jährige Elena Kopf (Name von der Redaktion geändert), die seit fünf Jahren an einer aktiven Form von MS leidet: "Weil Cannabis stark tabuisiert wird, hat es auch bei mir lange gedauert, bis ich verstanden habe, dass CBD nicht psychoaktiv ist. Erst dann habe ich mich getraut, es zu versuchen." Skeptische Blicke beim Anblick der CBD-Flasche, auf der ein Hanfblatt abgebildet ist, kennt auch Rathammer: "Kollegen oder Freunde, die das sehen, denken sofort an Drogen. Da braucht es noch viel Aufklärung."

Fehlende Indikation

Die beiden Patientinnen nehmen die Vorurteile in Kauf, wie auch den Preis des CBD-Öls. Ein Fläschchen mit 30 Millilitern kommt auf etwa 120 bis 150 Euro. Das reicht für zwei bis drei Monate, so Kopf und Rathammer. Die beiden sind froh, dass es legale Wege gibt, CBD zu kaufen. Etliche Patienten scheuen jedoch auch vor illegalen Vertriebswegen nicht zurück, weiß Medizinerin Heidler: "Manchen Patienten bleibt auch gar keine andere Option. Leider gibt es noch keine richtige Indikation, die man der Krankenkasse vorlegen kann." Heidler kennt viele erfolgreiche Fallbeispiele, die gezeigt haben, dass Cannabis mit hohem CBD-Gehalt auch Entzündungen hemmt und damit den Fortschritt der MS verlangsamt. "Studien dazu gibt es aber nicht", so Heidler.

Ein Erfolgsbeispiel ist auch der Fall von Elena Kopf. Sie litt an starker Spastik sowie steifen und verkrampften Muskeln und Beinen: "Ich habe mich durch die MS wie ein Roboter bewegt, bin ganz unrund gegangen und habe dadurch Haltungsschäden bekommen, die alles noch verschlimmert haben – es war wie eine sich immer weiter verstärkende Spirale", erzählt sie.

"Generell entspannter"

Seit sie regelmäßig einige Tropfen CBD nimmt, sind ihre Beine entkrampft, "ich kann mich in der Früh im Bett ganz normal aufsetzen. Außerdem schlafe ich viel besser, habe weniger Ängste und Depressionen und bin generell entspannter", erzählt sie, "das kann auch mein Umfeld bestätigen." Seit ihrer Diagnose habe sie eine Art Parallelleben geführt, "wie ein zweites Leben, in dem ich diese Krankheit habe", sagt sie. "Jetzt kommt langsam meine Lebensfreude zurück, die ich vor der Diagnose hatte. Ich erkenne mich selbst wieder", erzählt sie.

Letztendlich, sagt auch Heidler, unterstütze der Cannabis-Konsum die Patienten auch bei der psychischen Bewältigung der Erkrankung. "Es gelingt ihnen dadurch, ihre Einschränkungen nicht so schwer zu nehmen." (Bernadette Redl, 21.1.2019)