Korneuburg – "Ich gehe grundsätzlich davon aus, dass der Mensch ein aggressives Wesen ist", antwortet der psychiatrische Sachverständige Werner Brosch im Geschworenenprozess am Landesgericht Korneuburg gegen Birgit A. dem Vorsitzenden Manfred Hohenecker. Der hatte sich zuvor nämlich über die 47-jährige Angeklagte, der versuchter Mord an ihrem Ex-Mann vorgeworfen wird, gewundert: "Es frappiert den Laien, dass jemand, der so überangepasst ist, derart aggressiv sein kann."

Aber der Reihe nach: Zunächst weist Frau A. den Mordvorwurf von sich und plädiert wie auch Verteidiger Andreas Schweitzer auf versuchte schwere Körperverletzung. Nach dem Scheitern ihrer ersten Ehe ging A. 2006 in den Jemen, lernte dort Mohammed A. kennen und lieben, erzählt sie. Das erste Kind kam auf die Welt, das Paar heiratete, 2013 zog Herr A. nach Österreich, ein zweites Kind folgte.

Frau initiierte Scheidung

"Wie ist die Ehe verlaufen?", interessiert Hohenecker. "Die Scheidung wollte letztlich ich. Mein Mann hat sich immer weiter von mir entfernt und ist jeder Aussprache ausgewichen", erinnert sich die eher zierliche Angeklagte. 2015 wurde die Scheidung rechtskräftig. Ganz von ihrem Ex wollte Frau A. offenbar nicht lassen. "Eine Familie war immer mein erklärter Traum", erzählt sie. "Sie wollten ihn zurückhaben. Aber Sie haben ja die Scheidung initiiert. In meiner Logik geht das nicht ganz zusammen", kann der Vorsitzende nicht folgen. "Logisch ist das sicher nicht", gibt die Angeklagte zu.

2017 wurde die Frau arbeitslos, "sie begann, ihre Sorgen in Alkohol zu ertränken", beschreibt Staatsanwältin Gudrun Bischof die Folgen. Ab Februar 2018 ließ sich die Unbescholtene psychiatrisch behandeln. Rund einen Monat nach Therapieende verriet ihr der ältere Sohn, dass eine neue Frau in der Wohnung des Vaters lebe. Im August erfuhr sie, dass ihr Ex wieder geheiratet habe. Sie habe "Enttäuschung, Hilflosigkeit" gefühlt, versucht sie die Geschworenen von ihrer damaligen Gemütslage zu überzeugen. "Und eine gehörige Portion Wut?", fragt der Vorsitzende nach. "Weniger." – "Sind Sie eigentlich eifersüchtig?" – "Ja", gesteht die Angeklagte zu.

Ausflug zum Heurigen

Am Sonntag, dem 12. August, brachte Herr A. die Kinder mit der Bahn zurück in den kleinen Ort, in dem Frau A. sie abholen sollte. Die Angeklagte vereinbarte mit ihrer Mutter, die solle sich darum kümmern, und fuhr zum Heurigen. Fünf, sechs Spritzer trank sie dort nach ihren Angaben, gemessen wurden nach der Tat 0,54 Promille. "Ich habe daran gedacht, dass ich ihn alle 14 Tage sehen müsste. Das wäre so schmerzhaft gewesen", erinnert sie sich.

Sie fuhr heim, holte ein Küchenmesser, verstaute es in ihrer Handtasche und versteckte sich vor dem Bahnhof, um auf ihren Ex-Gatten zu warten. Der lieferte die Kinder ab und wartete auf die Rückfahrt. Sie habe sich eigentlich anschleichen und von hinten zustechen wollen, Herr A. entdeckte sie aber. Und fragte, als er ihre Hand in der Tasche sah, sofort, ob sie eine Pistole habe.

Kein wuchtiger Messerstich

Dann sei er näher gekommen und habe nach ihrer Tasche gegriffen, worauf sie die Waffe gezogen und in Richtung seines Oberkörpers gestochen habe. Plötzlich ändert A. ihre Verantwortung: "Ich wollte ja gar nicht zustechen", sagt sie. Mit Hängen und Würgen bringen sie Hohenecker und ihr Verteidiger dazu, doch eine Verletzungsabsicht zuzugeben. Entlastet wird sie vom gerichtsmedizinischen Sachverständigen Wolfgang Denk: Der Stich könne nicht wuchtig geführt worden sein, da der Mann nur eine oberflächliche Wunde an der rechten Hand erlitt.

Für Psychiater Brosch ist klar, dass A. "in innerseelischem Aufruhr und von hochgradiger Ambivalenz geprägt" gewesen ist – einerseits wollte sie zustechen, dann doch wieder nicht. Sie leide an "Ich-Schwäche", erkenne das aber nicht als Problem.

Die Geschworenen glauben einstimmig nicht an einen Mordversuch, sondern verurteilen A. rechtskräftig wegen versuchter schwerer Körperverletzung zu zwei Jahren Haft, acht Monate davon unbedingt. (Michael Möseneder, 18.1.2019)