Der Soziologe Max Weber schrieb bereits 1919 im Aufsatz "WIssenschaft als Beruf", das akademische Leben sei nichts als ein wilder Hazard. Nun wird diskutiert, ob bestimmte Förderentscheidungen nicht tatsächlich nach Zufallskriterien entschieden werden sollen.

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Vor ziemlich genau 100 Jahren erschien einer der einflussreichsten Texte über Wissenschaft, der im 20. Jahrhundert veröffentlicht wurde: die gedruckte Fassung von Max Webers 1917 gehaltener Rede "Wissenschaft als Beruf". Der berühmte deutsche Soziologe machte sich in dem Aufsatz unter anderem Gedanken über die Vor- und Nachteile einer Karriere in der Wissenschaft, verglich das deutsche Universitätssystem mit dem damals auf dem Vormarsch befindlichen US-amerikanischen – und betonte den Faktor Zufall im Zusammenhang mit wissenschaftlichen Laufbahnen:

"Das akademische Leben ist also ein wilder Hazard. Wenn junge Gelehrte um Rat fragen kommen wegen Habilitation, so ist die Verantwortung des Zuredens fast nicht zu tragen. Ist er ein Jude, so sagt man ihm natürlich: lasciate ogni speranza. Aber auch jeden anderen muß man auf das Gewissen fragen: Glauben Sie, daß Sie es aushalten, daß Jahr um Jahr Mittelmäßigkeit nach Mittelmäßigkeit über Sie hinaussteigt, ohne innerlich zu verbittern und zu verderben?" (Max Weber, 1919)

Webers konstatierte mithin, dass insbesondere bei Berufungen von Professoren allzu oft der Zufall, aber weniger die Leistung der Kandidaten entscheiden würde. Mit etwas übertriebenem Understatement nahm sich Max Weber selbst nicht aus und behauptete, dass es unter seinen Kollegen größere Begabungen gegeben hätte, aber er es war, der dank einiger Zufälle berufen wurde – 1918 übrigens auch kurz an die Universität Wien.

Die Aktualität eines klassischen Texts

Der nach wie vor höchst lesenswerte Text des Soziologen hat angesichts der Situation an den heutigen Massenuniversitäten noch einmal besondere Aktualität erhalten. Denn es werden in den meisten Bereichen allzu viele junge Leute mit einer Dissertation für eine wissenschaftliche Karriere ausgebildet. Von diesem Nachwuchs erhält dann aber nur ein kleiner Teil (Schätzungen liegen je nach Fach, Universität und Land zwischen einem halben und rund 20 Prozent) auch tatsächlich im Laufe ihres Lebens – so wie Max Weber – eine Professur erhalten.

Anders als noch zu Webers Zeiten ist mittlerweile schon das Ergattern einer Post-Doc-Stelle ein erster Selektionsfaktor, der die Kohorte ein wenig verkleinert. Doch wie soll man – insbesondere in so überlaufenen Bereichen wie den Lebenswissenschaften – aus dem überreichen Angebot an frisch Promovierten jene Talente identifizieren, die sich für weitere wissenschaftliche Karrieren am besten eignen? Peer Review, also die Beurteilung durch Fachkollegen, gilt als der Königsweg: Erfahrenere Wissenschafter schlagen jene Talente vor, die auf Basis des bisherigen Karriere und der ersten Publikationen am besten geeignet erscheinen.

Die Qual der Auswahl

Bei einer großen und angesehenen Forschungsinstitution wie dem European Molecular Biology Organization (EMBO) in Heidelberg stellt sich auch die Frage, wie man mit der großen Zahl an Bewerberinnen und Bewerbern umgeht: Allein 2007 waren es 324 Jungforscher, die sich um ein EMBO-Fellowship bewarben. Zwei EMBO-Mitarbeiter, Bernd Klaus und David del Álamo, haben sich nun angesehen, nach welchen Kriterien damals für oder gegen den jeweiligen Jungforscher entschieden wurde und wie deren weitere Karrieren bis zum Jahr 2017 verliefen.

Das zentrale Ergebnis der Studie, die bisher nur auf dem Preprint-Server bioRxiv veröffentlicht wurde, aber bereits heftig diskutiert wurde, überrascht: Die wissenschaftliche Karriereentwicklung von Bewerbern, die 2007 für eine EMBO-Postdoc-Stelle ausgewählt wurden, unterschied sich 2017 nicht signifikant von jenen, die von Gutachtern zwar als förderwürdig erkannt, aber aufgrund der Knappheit der Fördermittel zehn Jahre zuvor nicht ausgewählt worden waren aber anderswo in der Wissenschaft weitermachten. Einen signifikanten Unterschied gab es einzig bei der Karriereentwicklung von Frauen und Männern.

Den Zufall mitentscheiden lassen

Die beiden Autoren schlagen deshalb vor, durch Peer Review künftig nur noch mäßig gute und durchschnittliche Bewerber auszusortieren. Die Stipendien unter den förderungswürdigen Kandidaten sollten dann aber am besten per Losentscheid vergeben werden. So würde zum Beispiel kein Geschlecht bevorzugt. Zufallsentscheidungen werden den Autoren zufolge vor allem dann sinnvoller, wenn die Förderquoten stark sinken – was zunehmend der Fall ist.

Angesehene deutsche Forschungsmanager können dem Losentscheid als ergänzendem Verfahren durchaus einiges abgewinnen. Und zum Teil wird es auch schon eingesetzt – wie etwa bei der Volkswagenstiftung, einem der wichtigsten Forschungsförderer in Deutschland, wo der Zufall über eine Teil der Anträge entscheidet.

Wilhelm Krull, der Generalsekretär der Volkswagenstiftung begründet das so: "Bei der Auswahl lassen sich natürlicherweise längst nicht alle eingereichten Themen durch Jurymitglieder abdecken. Das Los dagegen entscheidet völlig unparteiisch und frei von (unbewusstem) Bias, sowohl hinsichtlich Forschungsfeld als auch Alter oder Geschlecht der Antragstellenden." Die Stiftung verspreche sich dadurch "mehr Diversität unter den Bewilligungen."

Die Weisheit der Menge

Es gibt aber noch weitere alternative Ideen, wie das aktuell überbeanspruchte Gutachtersystem entlastet und damit auch Entscheidungen beschleunigt werden könnten. Eine Vorschlag, den Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung Hans-Christian Pape nennt, ist das "Crowd Reviewing", bei dem aus sozialen Medien bekannte Mechanismen eingesetzt und genutzt werden. "Das ist natürlich nicht die Kristallkugel, die alle Probleme löst", so Pape: "Aber die ersten Erfahrungen hiermit in der Begutachtung von Papern für wissenschaftliche Zeitschriften sind sehr spannend und vielversprechend. Wir arbeiten daran, dieses Verfahren auch bei der Vergabe unserer Stipendien zu testen." (tasch, 20.1.2019)