Die zunehmende Digitalisierung wird Wirtschaft und Gesellschaft noch tiefgreifender verändern als die Globalisierung – darüber sind sich die Ökonomen des Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) einig. Wohin die Reise geht, ist aber noch ziemlich unklar. "Die empirische Evidenz ist nicht schlüssig" heißt das in der Sprache der Wissenschaft.

Keine Angst

"Wir teilen nicht die Sorgen, dass es in näherer und absehbarer Zukunft zu großer Arbeitslosigkeit kommen wird", sagte Wifo-Ökonom Michael Peneder, der zu den Themenfeldern Industriepolitik, Unternehmen und Innovation sowie Strukturwandel, Wachstum und Wettbewerb forscht, in einem Hintergrundgespräch in Wien. Die langfristigen Folgen der Digitalisierung seien schwer abschätzbar und es wäre sinnvoll, "über politische Maßnahmen und Konzept nachzudenken, wenn die schlimmen Prognosen doch irgendwann eintreten sollten", sagte Peneder. Die Digitalisierung und Automatisierung finde schon seit Jahrzehnten statt, aber das Arbeitsvolumen habe nicht abgenommen, gab er zu bedenken.

Automatisierungen würden dann vorgenommen, wenn dadurch die Produktionskosten gesenkt oder die Qualität verbessert werden könne. Dadurch würden die Preise sinken, was für die Konsumenten einen Realeinkommensgewinn darstelle, wodurch wieder neue Leistungen nachgefragt würden. "Das wird in der Diskussion meist nicht bedacht", sagte Peneder.

Disruptiv

Digitalisierung finde schon seit langem statt, aber jetzt sei sie besonders "disruptiv", sagen die Wifo-Ökonomen. Deshalb bündle das Wifo die damit im Zusammenhang stehende Forschung in einer neuen Themenplattform mit fünf Forschungsbereichen: "Makroökonomie und europäische Wirtschaftspolitik", "Arbeitsmarkt, Einkommen und soziale Sicherheit", "Industrieökonomie, Innovation und internationaler Wettbewerb", "Strukturwandel und Regionalentwicklung" und "Umwelt, Landwirtschaft und Energie";

Michael Böheim beschäftigt sich beim Wifo mit den Themen Wettbewerb und Regulierung. "Natürlich ist auch dieser Themenbereich von der Digitalisierung betroffen, weil große Internetkonzerne einen ganz entscheidenden Einfluss auf den Wettbewerb haben." Das Wifo sehe die Digitalisierung als "politisch gestaltbaren Prozess im weitesten Sinn", sagte Böheim. "Digitalisierung ist jedenfalls mehr, als analoge Geschäftsprozesse oder Verwaltungsprozesse mit einer EDV-Unterlegung zu versehen." Es gebe dabei Chancen und Risiken, aber in der öffentlichen Wahrnehmung werde das Thema sehr bipolar gesehen. "Die einen sehen das sehr positiv, die anderen sehr negativ. Wir im Wifo bemühen uns eine Synthese zu finden, um die Chancen zu nützen und die Risiken zu minimieren."

"Es bedarf eines systemischen Ansatzes. Jede singuläre Maßnahme, die nicht eingebettet ist in ein Gesamtkonzept, wird nicht zum Erfolg führen", sagte Böheim. "Ich bin nicht sicher, ob die Digitalsteuer eine Wettbewerbsannäherung von KMU mit Amazon bringt." Es würde dadurch zu einer Verteuerung der Produkte für die Konsumenten kommen, aber "ob das wirklich die großen Internetkonzerne ins Wanken bringt – ich weiß es nicht, aber Zweifel sind angebracht".

Online-Werbeabgabe

Eine richtige Digitalsteuer habe man noch nicht untersucht, sagte Simon Loretz, der sich beim Wifo u.a. mit öffentlichen Finanzen sowie nationaler und internationaler Steuerpolitik befasst. "Der Finanzminister ist sehr forsch mit der Forderung nach einer Digitalsteuer. Meiner Einschätzung nach will er damit aber hauptsächlich ein Loch im österreichischen Steuersystem schließen, und zwar durch die Online-Werbeabgabe." Analoge Werbung werde in Österreich nämlich durch die Werbeabgabe von 5 Prozent besteuert, Online-Werbung werde aber nicht besteuert.

Dieses Loch könnte mit einer Digitalsteuer relativ leicht geschlossen werden, so Loretz. Eine reine Online-Werbeabgabe könnte 10 bis 15 Mio. Euro einbringen, schätzt der Wifo-Steuerexperte. Der komplette Online-Bereich mit Social-Media-Werbungen, YouTube, Handys usw. hätte ein Aufkommenspotenzial von 30 Mio. Euro. Dabei wurde ein Steuersatz von 3 Prozent angenommen.

Eine wichtige Strukturmaßnahme im Hinblick auf die Digitalisierung wäre die Vermittlung von Grundskills wie Mathematik und Deutsch, meint die Arbeitsmarkt- und Bildungsexpertin Julia Bock-Schappelwein. "Es geht in der Digitalisierung darum, dass ich Information filtern kann. Über digitale Kompetenzen brauchen wir erst dann zu diskutieren, wenn einmal die Basiskompetenzen da sind." (APA, 20.1. 2019)