Seit Maria Stern im August Parteiobfrau der früheren Liste Pilz wurde, musste die restliche Arbeit der Jetzt-Chefin ruhen. Ein neuer Name wurde gefunden, die Vorbereitungen für die EU-Wahl laufen – allerdings streng geheim. Selbst Sterns Herzensthema Familienrechtsreform muss warten. Beim STANDARD-Interview zeigt sie auf eine beachtliche Reihe Ringordner, die sie an ihr Vorhaben erinnern.
STANDARD: Sind Sie bei der Suche nach einer Spitzenkandidatin oder einem Spitzenkandidaten für die EU-Wahl fündig geworden?
Stern: Alle Fragen zur EU-Wahl werden Ende Jänner beantwortet.
STANDARD: Ist die Suche so schwierig? Genannt wird immer wieder Johannes Voggenhuber.
Stern: Ich äußere mich jetzt nicht zu diesem Thema.
STANDARD: Auch nicht, auf welche Inhalte Sie setzen?
Stern: Wir werden ein Gegengewicht zum nationalen Rechtsruck in Europa und Österreich bilden.
STANDARD: Wie wollen Sie sich Gehör verschaffen?
Stern: Diese Fragen werden wir zur gegebenen Zeit beantworten.
STANDARD: Gibt es einen Grund, warum Sie sich so bedeckt halten?
Stern: Wir bestimmen den Zeitpunkt, wann wir an die Öffentlichkeit gehen – nicht mehr und nicht weniger. Ich beantworte alle Fragen zur EU-Wahl zum gegebenen Zeitpunkt. Ende.
STANDARD: Inhaltlich ist im vergangenen Jahr wenig von der Liste durchgedrungen. Sie hatten gerade eine Klubklausur. Welchen Themen wollen Sie sich 2019 widmen?
Stern: Ich war nicht auf dieser Klubklausur. Ich bin Parteiobfrau, keine Abgeordnete. Wir haben sieben Abgeordnete, wir sitzen in allen Ausschüssen, wir reden zu jedem Thema, schreiben ununterbrochen Anfragen und Anträge. In den U-Ausschüssen stehen wir für Kontrolle. Der andere Schwerpunkt ist die Gerechtigkeit. Ich verweise auf meine Forderungen auf Unterhaltssicherung für Frauen und nach der Ausfinanzierung für Gewaltschutz und Täterarbeit. Das dringt auch medial durch.
STANDARD: Ist der Befund falsch?
Stern: Keine Frage, es war ein turbulentes erstes Halbjahr. Es wurde oft geschrieben, es gebe keine Opposition. Da war das Interesse an der inhaltlichen Arbeit nicht besonders ausgeprägt. Das hat sich glücklicherweise gebessert.
STANDARD: Sie haben gerade ein Problem selbst angesprochen: Die Parteichefin ist nicht bei der Klubklausur, weil sie kein Mandat hat.
Stern: Sie haben ja keine Ahnung, was es bedeutet, eine Partei aufzubauen. Das ist wirklich viel Arbeit. Ich habe alle Hände voll zu tun, und das ist auch gut so.
STANDARD: Gut. Wie baut man also eine Partei auf?
Stern: Da geht es in erster Linie einmal darum, Länderorganisationen und Kommunikationsstrukturen aufzubauen, zu überlegen, in welche Richtung es gehen soll. Ich arbeite viel mit Interessengruppen zusammen, um die Anliegen der Zivilgesellschaft tatsächlich ins Parlament zu bringen.
STANDARD: Mit einem Mandat schaut es so und so nicht gut aus. Es will niemand darauf verzichten.
Stern: Das ist auch jetzt kein Thema, sorry! Wir haben eine türkis-blaue Regierung, die massiven Schaden anrichtet. Ich stehe doch nicht in der Früh auf und überlege mir, wann ich ins Parlament nachrücken kann. Ich stehe auf und denke daran, wie wir dagegenhalten können.
STANDARD: Sie haben doch selbst kürzlich im ORF-Interview gesagt, dass Sie gerne ein Mandat hätten.
Stern: Ich habe für den Nationalrat kandidiert und will dort hin. Den Zeitpunkt kennen wir nicht, und er ist derzeit kein Thema.
STANDARD: Treten Sie heuer bei der Vorarlberger Landtagswahl an?
Stern: Wie es derzeit aussieht, nein. Wir konzentrieren uns jetzt einmal auf die Europawahl.
STANDARD: Und in Wien?
Stern: Das kann ich mir vorstellen. Die Wahl ist wichtig für unsere Zukunft.
STANDARD: Wie viele Mitglieder hat die Liste Jetzt derzeit?
Stern: Wir haben nie gesagt, dass wir eine Mitgliederpartei sein wollen. Daran haben wir uns aber nicht ganz gehalten, es gibt 25 Mitglieder. Das sind alles Leute, die uns von Anfang an unterstützt haben. Unser Schwerpunkt liegt in der Einbindung der Zivilgesellschaft, nicht darin, möglichst viele Mitglieder zu haben.
STANDARD: Die Liste Jetzt soll auch für Kontrolle stehen. Wie kommt es, dass über Ihre Parteiakademie kaum etwas bekannt ist. Immerhin haben Sie 2018 1,2 Millionen Euro Förderung erhalten.
Stern: Wir sind am Aufbau eines Onlinemediums und einer Investigativplattform. Das erfordert einen langen Vorlauf. Wir wollen was Gutes präsentieren. Und wie vorher angesprochen, wir haben ein turbulentes erstes Halbjahr hinter uns, das hat Zeit gekostet.
STANDARD: Also wann?
Stern: Manchmal plant man Stichtage, und dann kommt die Realität. Wenn es nach mir ginge, wäre beides schon online. Es sind auch Veranstaltungen geplant, das soll rasch losgehen.
STANDARD: In Österreich sorgen gerade Frauenmorde für Aufregung. Innenminister Herbert Kickl will eine Screening-Gruppe einsetzen. Es soll höhere Strafen für Wiederholungstäter geben. Unterstützen Sie das?
Stern: Die Regierung hat es geschafft, in Zeiten wie diesen 170.000 Euro bei Gewaltschutz- und Frauenprojekten einzusparen. Sie hat international anerkannte Programme wie "Marac" oder "Siak" gestrichen. Was Kickl jetzt aufbauen will, ist ähnlich wie "Marac". Da unterstelle ich der Regierung sehr hohe Inkompetenz.
STANDARD: Wo würden Sie ansetzen, um solche Taten zu verhindern?
Stern: Österreich hat international betrachtet eine vorbildliche Gesetzgebung. Das Problem ist aber, dass zu wenig Geld eingesetzt wird. Wir haben 2013 die Istanbul-Konvention unterschrieben und uns verpflichtet, Frauenleben zu schützen. Seit zwei Jahren liegt der Grevio-Bericht des Europarats vor, der detailliert beschreibt, wie Österreich dasteht. Wir wissen, dass 210 Millionen Euro jährlich investiert werden müssten.
STANDARD: Um was mit dem Geld zu tun?
Stern: Das steht alles im Grevio-Bericht. Die Frage, warum es derzeit so viele Frauenmorde gibt, hängt sicher damit zusammen, dass wir eine rechtskonservative Regierung haben. Die Grundlage genderbasierter Gewalt ist nicht der Pass des Mannes, es ist ein patriarchales Weltbild. Frauenverachtung gibt es in allen Kulturen. Manche fühlen sich durch die Regierung ermutigt, Jahrzehnte zurückzufallen. Zusätzlich leben wir trotz sprudelnder Konjunktur in unsicheren Zeiten. Mit der Streichung der Mindestsicherung oder dem ungerechten Familienbonus wird die Kluft zwischen Arm und Reich stärker. Da können viele Menschen in Krisen geraten und überreagieren. Auch die ökonomische Ungleichstellung von Mann und Frau ist ein Nährboden für Gewalt. Darum fordere ich auch die Unterhaltssicherung: Eine Mutter, die weiß, dass sie als Alleinerzieherin ziemlich sicher in Armut landet, trennt sich nicht vom Gewalttäter.
STANDARD: Meinen Sie wirklich, dass die Regierung Mitschuld hat?
Stern: Auch, aber das wäre zu kurz gefasst. Genderbasierte Gewalt hat es immer gegeben. Aber mit einer rechtskonservativen Regierung bewegen wir uns zurück: Es ist eine Retropolitik. Häusliche Gewalt ist ein Tabuthema. Es gehört in Schulen darüber gesprochen. Und wir brauchen eine andere Berichterstattung. Es ist wichtig, die Dinge klar zu benennen: Es sind Frauenmorde, weder ein blutiger Ehestreit noch eine Eifersuchtstragödie. In all diesen Umschreibungen wie auch "Drama" und "Tragödie" wird impliziert, dass Frauen Mitschuld haben – weil sie sich scheiden lassen wollten oder der Mann eifersüchtig war. Nein, die Frauen haben keinesfalls Mitschuld.
STANDARD: Schnell wird auch auf einen kulturellen Hintergrund geschlossen. Sehen Sie das so?
Stern: Jede dritte Frau weltweit erfährt physische, psychische oder sexuelle Gewalt. Wir haben ein Täterproblem, nicht ein Passproblem. Es darauf zu verkürzen werfe ich der Regierung massiv vor. Wir kennen das Datum, an dem sich die FPÖ für Frauenpolitik zu interessieren begann. Das ist der 1. Jänner 2016, der Tag nach Köln. Da haben sie erkannt, dass man mit frauenspezifischen Themen den täglichen Rassismus bedienen kann. (Marie-Theres Egyed, Peter Mayr, 21.1.2019)