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In Totalan hat man die Hoffnung noch nicht aufgegeben.

Foto: Reuters/JON NAZCA

Malaga – Ein neuer Rückschlag hat die Bergung eines abgestürzten Kleinkindes aus einem tiefen Schacht in Spanien am Wochenende verzögert. Bei der Bohrung eines Bergungstunnels stießen die Helfer auf einen großen Felsbrocken. Bis Sonntagnachmittag habe man daher nur 40 von insgesamt 60 Metern geschafft, teilten die Helfer in Totalan nahe der südlichen Küstenstadt Málaga mit.

Mit den Eltern des zweijährigen Julen, die 2017 einen dreijährigen Sohn wegen eines Herzversagens verloren, leidet ganz Spanien. Die Zeitung "El Mundo" titelte: "Eine höllische Woche".

Am Samstag hatte man noch gehofft, den Zugang, der senkrecht zum Schacht verläuft, beim Ausbleiben neuer größerer Probleme bis Sonntag in der Früh fertigstellen zu können. Alles deutete am Sonntag aber darauf hin, dass man Julen auf keinen Fall vor Montagabend wird finden können. Denn nach Fertigstellung des Tunnels müssen Minenarbeiter noch eine horizontale, vier Meter lange Verbindung zu dem Schacht herstellen, in dem das Kind vermutet wird. Dafür wird man amtlichen Angaben zufolge mindestens 20 Stunden benötigen.

Schwierige Bergungsarbeiten

Die erfahrenen Bergleute sollen in einem eigens gebauten Metallkorb heruntergelassen werden und in dem nur einen guten Meter breiten Tunnel lediglich mit Spitzhacken und Presslufthämmern arbeiten. Wegen der Sicherheit des Kindes und auch der Helfer müsse man mit äußerster Vorsicht vorgehen, hatte der Sprecher der Einsatzkräfte Angel Garcia Vidal am Samstag vor Journalisten erklärt.

Vom Kleinen gibt es seit dem 13. Jänner kein Lebenszeichen. Mit jeder Minute werden deshalb die Hoffnungen auf einen glücklichen Ausgang geringer. Experten versicherten noch immer, es sei nicht ausgeschlossen, dass das Kind noch am Leben sei. Julen soll bei einem Ausflug seiner Familie in das Loch gefallen sein, das einen Durchmesser von nur 25 bis 30 Zentimetern hat. Bei Kamera-Aufnahmen wurde im Schacht in einer Tiefe von gut 70 Metern ein Sackerl mit Süßigkeiten entdeckt, die Julen bei sich hatte. Lose Erde verhinderte, mit der Kamera tiefer vorzudringen.

Kritik in Spanien

Dass sich die Suche und das Zittern immer weiter in die Länge ziehen, hat bisher in Spanien praktisch nur unter Laien Kritik ausgelöst. "Was haben die da die ganze Zeit gemacht?", fragte zum Beispiel der Pensionist Juanma in einem Madrider Beisl in die Runde, die das Drama am Fernseher verfolgte. Auch Julens Vater Jose ("Viele Unterstützungstweets, aber wenige Mittel") und Totalans Bürgermeister Miguel Escano ("Es wird zu wenig gemacht und viel improvisiert") hatten in der Anfangsphase geschimpft.

Aber alle Experten wiesen jede Kritik zurück. Einen solchen Notfall habe es weltweit noch nie gegeben, versicherten der Feuerwehrchef der Region um Malaga, Julian Moreno, und der Delegierte der Madrider Zentralregierung in Andalusien, Alfonso Rodriguez Gomez de Celis. Der Sprecher des Verbandes der Minen- und Wegebau-Ingenieure in Malaga, Juan Lopez-Escobar, schlug in die gleiche Kerbe und betonte: "In den USA hat man zum Beispiel 70 Stunden gebraucht, um ein Kind zu bergen, das nur in sieben Meter Tiefe festsaß."

107 Meter tiefer Schacht

In Totalan hat man es mit einer ganz anderen Kategorie zu tun: Der Schacht, der nach Medienberichten auf der Suche nach Wasser in der von Dürre geplagten Region nahe der Finca eines Verwandten von Julen gebohrt wurde, ist 107 Meter tief. Das entspricht ungefähr der Höhe eines 30-stöckigen Gebäudes. Die Retter halten es aber für denkbar, das Kind in einer Tiefe von 70 bis 80 Metern finden zu können. Da die Helfer bei der Aufstellung einer Plattform zur Stabilisierung der Hauptbohrmaschine schon rund 20 Meter tief vorgedrungen sind, musste man noch weitere 60 Meter tief bohren.

Die Liste der Probleme, auf die die Einsatzkräfte stießen, ist lang. Der Unglücksort am Hügel Cerro de la Corona ist mit größeren Fahrzeugen und schweren Maschinen aufgrund der steilen, rutschigen, kurvenreichen und engen Wege nur äußerst schwer zugänglich. Bei der Einebnung des Geländes musste man 35.000 Kubikmeter Erde und Steine abtragen. Der Corona, ursprünglich 352 Meter hoch, sei inzwischen deutlich kleiner, schrieben Medien. Der zu bohrende Boden, von dem keine geologischen Untersuchungen vorlagen, ist zum Teil sehr hart, zum Teil aber auch instabil.

Kein Kontakt möglich

Und dass man keinen Kontakt zum Verschollenen hat erschwert das Ganze zusätzlich. "Wir haben aber weiterhin die Hoffnung, Julen lebend bergen und zu den Eltern bringen zu können", beteuerte Ingenieur Garcia Vidal und sagte für die rund 100 Helfer: "Julen ist inzwischen zum Sohn von uns allen geworden, wir wollen und werden ihn da rausholen." Dorfbewohner stellten Julens Eltern und den Helfern Essen und Unterkunft zur Verfügung. Bei einer Solidaritätsaktion hielten Kinder Plakate mit der Aufschrift "Julen, halt' durch!" hoch.

Eine Frage hörte man in Spanien unterdessen immer wieder: Kann ein Zweijähriger in einem tiefen Loch ohne Nahrung und Wasser und möglicherweise mit Verletzungen mehr als eine Woche lang überleben? Ivan Carabano hegte noch Hoffnung. "In einer Extremlage kämpft der menschliche Organismus in einer unvorstellbaren Art und Weise ums Überleben", wurde der Madrider Kinderarzt am Sonntag von "El Pais" zitiert. Das Kind werde instinktiv versuchen, "sich mit allem zu ernähren, was es findet". Der Arzt betont aber auch: Bei einem Kind mit einem Körpergewicht von nur elf Kilogramm wie Julen sei das Risiko einer schnellen Unterzuckerung größer. (APA, 20.1.2019)