"Wie wenn ich Superkräfte hätte": Liam (im Bild links) kommuniziert per Sprachcomputer mit seiner Familie.

Foto: Standard/Rohrhofer

Linz – Liam ist ein richtiger Benzinbruder. Wenn die Rennautos am Asphalt kleben, die Motoren heulen und die Reifen qualmen, ist der Achtjährige ganz in seinem Element. Und der Kleine sitzt gerne selbst am Steuer – vor seinem Tablet. Und doch gibt es einen großen Unterschied zu gleichaltrigen Computerfreunden: Liam gibt im Spiel ausschließlich mit den Augen den Ton an. Der Volksschüler kann nicht sprechen, nicht laufen, nicht selbstständig essen oder trinken, nicht alleine sitzen, nicht nach Dingen greifen.

"Bis knapp vor der Geburt war alles ganz normal. Dann waren plötzlich die Herztöne weg", erinnert sich Mama Kerstin Weingartner im STANDARD-Gespräch. Der schwere Sauerstoffmangel führte dazu, dass alle Bereiche seines Gehirns, die für die Muskelsteuerung zuständig sind, schwer geschädigt wurden. Liam hat Athetose, eine der schwersten Formen zerebraler Bewegungsstörungen. Wenn er im Rollstuhl sitzt, wirkt es, als würde er stetig um sich schlagen, der Kopf schnellt von einer Seite zur anderen. Es sind Bewegungen, die Liam nicht kontrollieren kann. Doch geistig ist der aufgeweckte Bub vollkommen fit. Mama Kerstin streicht ihrem Sohn liebevoll über den Kopf: "Er ist halt in seinem Körper gefangen."

Und doch ist eine Kommunikation möglich: Seit seinem dritten Lebensjahr nutzt Liam einen Computer, den er mit den Augen steuern kann. Das Tempo, mit dem er die spezielle Software bedient, ist erstaunlich – eine Kommunikation also beinahe in Echtzeit möglich. Was er einmal werden möchte? "Polizist natürlich". Und die Schule ist okay? "Nicht okay, sondern cool!" Die positive Einstellung zur Schule spiegelt sich auch in den Noten wider: Liam besucht die dritte Klasse Volksschule – und ist Einserschüler.

Reden lernen

Die ersten Worte ihres Sohnes wird Kerstin Weingartner wohl nie vergessen: "Plötzlich stand da 'Mama, ich hab dich lieb' am Bildschirm. Da weißt du ehrlich nicht, ob du vor Glück weinen, lachen oder schreien sollst." Aber auch für Papa Gernot hat der Sprachcomputer vieles erleichtert: "Ich habe oft nicht gewusst, was Liam wollte. Ich war voll berufstätig, und Kerstin hat durch die ganzen Therapien mehr Zeit mit unserem Sohn verbracht. Sie konnte schon am Gesichtsausdruck erkennen, was Liam braucht."

Wobei genau diese damals wie heute so wichtige nonverbale Kommunikation Mama Kerstin vor eine neue Herausforderung stellte: "Plötzlich hatte Liam mit dem Sprachcomputer ein eigenes Kommunikationsmittel. Und er musste lernen, es auch zu verwenden. Was vor allem für mich hart war. Ich wusste, was er wollte, musste aber ganz bewusst sagen: 'Liam, ich versteh dich nicht.'"

Heute gehört die Computerstimme ganz selbstverständlich zu Liam – auch für seine jüngeren Zwillingsschwestern Eliana und Selina. Und selbst Therapiehund Mia akzeptiert nach einer längeren Eingewöhnungsphase mittlerweile auch elektronische Anweisungen.

Auf den ersten Blick scheint die Familie das schwere Schicksal erstaunlich gut zu meistern. Sitzt man am großen Tisch in dem neu gebauten Haus in Offenhaus bei Wels, hat man das Gefühl, Gast bei einer glücklichen Familie zu sein. Die Stärke und der Lebensmut von Kerstin und Gernot Weingartner beeindrucken nachhaltig, das aufgeweckte und lustige Wesen von Liam drängt jegliche Beeinträchtigung in den Hintergrund.

Bürokratische Hürden

Nicht gerade leicht machen es der Familie hingegen offizielle Stellen. Regelmäßig braucht Liam Therapien, einen neuen Rollstuhl, einen Treppenlift – und vor allem muss der Sprachcomputer "mitwachsen". In bestimmten Abständen benötigt der Achtjährige eine neue Software und immer wieder auch ein neues Gerät. Weingartner: "Es ist äußerst schwierig, an Fördergelder für einen entsprechenden Computer zu kommen, dessen Kosten sich auf bis zu 17.000 Euro belaufen. Ich habe auch schon viele Eltern kennengelernt, die gar nicht wissen, dass es diese Mittel gibt."

Unterstützung erfährt die Familie in Oberösterreich von der Diakonie. Direktorin Maria Katharina Moser pocht auf einen Rechtsanspruch auf assistierende Technologien für junge Menschen mit Behinderung: "Es gibt Mittel, aber es muss auch praktisch möglich sein, an diese heranzukommen. Wir fordern eine zentrale Stelle, an die man sich wenden kann." Aktuell leben, so Moser, in Österreich etwa 63.000 Menschen mit Sprachbehinderungen.

Liam hat derweil auf der Rennstrecke der fahrenden Konkurrenz bis zur Zielflagge die Rücklichter gezeigt. Wie es für ihn sei, mit den Augen und über einen Computer zu kommunizieren? "Echt cool, wie wenn ich Superkräfte hätte." (Markus Rohrhofer, 21.1.2019)