Zur richtigen – im Grunde genommen recht frühen – Zeit zu impfen und dann im Alter bei über die Jahrzehnte aufrecht erhaltenem Erstschutz weiter regelmäßig aufzufrischen, das ist laut Fachleuten die beste Strategie für einen lebenslangen Impfschutz. Dies erklärte jetzt Gerhard Zlabinger, Leiter des Instituts für Immunologie der MedUni Wien, aus Anlass des Österreichischen Impftages am 19. Jänner.

"Mit der Geburt ist das Immunsystem in seinen Bestandteilen im Prinzip fertig ausgebildet. Die Funktionalität der jeweiligen Komponenten ist jedoch noch nicht in erforderlichem Ausmaß gegeben. Es kommt auf den richtigen 'Kick' an, um es ausreichend in Gang zu setzen.

Das sind zusätzlich zu den zufälligen Kontakten mit Keimen der jeweiligen Umwelt auch die Impfungen", sagte Zlabinger. Im Erwachsenenalter läuft die Immunantwort auf potenziell krank machende Herausforderungen normalerweise gut und ausreichend stark ab, doch mit höherem Alter kann es wieder Probleme geben. Das liegt an den schwächer werdenden Ressourcen des Immunsystems, um auf neue Gefahren reagieren zu können. Auch darauf gelte es im Rahmen der Impfstrategien Rücksicht zu nehmen.

Auf Umwelt reagieren

"Das Immunsystem des Menschen hat vor allem drei Aufgaben. Es soll eingedrungene Keime beseitigen, Tumorzellen eliminieren und muss Unmengen an abgestorbenem 'eigenen' Zellmaterial abräumen", sagte der Experte. "Gleichzeitig muss es – je nach Herausforderung – in der Lage sein, die adäquate Reaktionsweise zu wählen, sodass es zu keinen unerwünschten Nebenreaktionen kommt."

Am Beginn des Lebens steht die Ausstattung des Embryos mit allen später notwendigen Bestandteilen des Immunsystems. "An sich sind mit der Geburt alle Komponenten vorhanden – die für die sogenannte angeborene und jene für die 'adaptive' Immunität erforderlichen Bestandteile", sagte Zlabinger. Für erstere sind zum Beispiel die Makrophagen (Fresszellen; Anm.) von besonderer Bedeutung, welche infizierte Zellen auffressen können, für zweitere einerseits B-Zellen für die Produktion von Antikörpern gegen spezielle Krankheitserreger oder andererseits die T-Zellen für die Erkennung von in den Organismus eingedrungenen Pathogenen.

Einmal aktiviert, immer aktiv

Während man früher den Bestandteilen des angeborenen Immunsystems quasi von Geburt an einen gleichbleibenden Status beigemessen hat, haben wissenschaftliche Studien in den vergangenen Jahren ein anderes Bild entstehen lassen. Zlabinger sagte: "Sowohl 'angeborenes' als auch 'erworbenes' Immunsystem brauchen offenbar einen Anstoß, um sich entsprechend auszubilden bzw. einen adäquaten Aktivierungsgrad zu erreichen."

Es macht offenbar einen Unterschied für die Immunreaktivität in den ersten Lebensmonaten, ob Neugeborene während eines vaginal erfolgenden Geburtsvorganges erstmals mit dem lokalen Mikrobiom der Mutter (inklusive Darmbakterien) in Kontakt geraten oder per Kaiserschnitt quasi "keimfrei" auf die Welt kommen. Aber, und das haben Wissenschafter auch im Vergleich von Früh- und zum normalen Geburtstermin auf die Welt gekommenen Kindern beobachten können: "Im Alter von drei Monaten wies das Immunsystem der Kinder dann prinzipiell gleiche ("stereotype"; Anm.) Reaktionsmuster auf."

Von der Mutter zum Kind

Bis einige Monate nach der Geburt wirken auch noch die von der Mutter mitgegebenen Antikörper als Abwehrfaktoren beim Kind. Doch dann gilt es, die immunologischen Abwehrkräfte so auszubilden, dass sie Krankheitserreger in den Körper nicht eindringen bzw. Krankheiten nicht ausbrechen lassen.

"Da setzen die ersten Impfungen mit dem dritten Lebensmonat gerade zum richtigen Zeitpunkt ein", sagte Immunologe Gerhard Zlabinger. Wird über die Zeit der Kindheit und Jugend entsprechend geimpft, bleiben auch Erwachsene bei vorgenommenen Auffrischungen ausreichend geschützt.

Doch es gibt auch geschlechtsspezifische Unterschiede. Das hängt insbesondere mit den Hormonen und der unterschiedlichen Genetik (XX-Chromosome bei Frauen, XY-Chromosom bei Männern; Anm.) zusammen. "Frauen haben nach der Pubertät stärkere Entzündungsreaktionen als Männer. Das zeigt sich auch darin, dass Autoimmunerkrankungen häufiger bei Frauen auftreten. Im Alter werden in dieser Hinsicht die Männer wieder ähnlicher den Frauen", sagte Zlabinger.

Faktor Östrogen und Testosteron

Östrogene haben einen eher Immunantwort-steigernden Effekt, das männliche Geschlechtshormon Testosteron als Gegenspieler einen eher dämpfenden. Die Aktivierungsfähigkeit des Immunsystems kehrt sich bei den Geschlechtern mit zunehmendem Alter um.

Wobei die Population der Betagten zunehmend wichtiger wird. "1950 gab es weltweit 202 Millionen Menschen über 60 Jahre. 2013 lag die Zahl bereits bei 843 Millionen Menschen. 2050 werden es zwei Milliarden sein", hat Zlabinger recherchiert. Doch da das menschliche Immunsystem bestenfalls auf eine Lebensspanne bis zum Ende der Reproduktionsfähigkeit vorausgeplant ist, bedeutet das: "Ältere Menschen sind die größte Gruppe von immunkompromittierten Patienten", wie Wissenschafter bereits 2003 feststellten. Das hat eine größere Anfälligkeit für Infektionen und Krebs sowie schwächeres Ansprechen auf Impfungen bzw. neue und vorher noch nicht gekannte Antigene bzw. Infektionserreger zur Folge.

Das Wissen des Immunsystems

Dies lässt sich auch an den Veränderungen bei den CD4-positiven T-Zellen als zentrale Bestandteile der adaptiven Immunantwort ablesen: Die Anzahl der für neue Antigenkontakte zur Verfügung stehenden "naiven" T-Zellen wird geringer, überbordend sind schließlich die Gedächtniszellen für bereits erfolgte Antigen-Kontakte. "Das Immunsystem hat dann ein 'enormes Wissen', ist aber offensichtlich nicht mehr ganz so offen für Neues. Es kann nicht mehr richtig 'zuhören' und wird durch chronische Aktivierung 'reizbarer' für Autoimmunreaktionen", hat Zlabinger formuliert.

Fazit: Auf Impfschutz ist am besten von Beginn des Lebens an zu achten. Im Alter sollte vorhandener Impfschutz möglichst optimal aufrechterhalten werden. "Mit Neuimpfungen ist man dann allerdings schon relativ spät dran", meinte der Experte. (APA, 21.1.2019)