Lastenräder sind praktisch, machen Spaß und verbessern die Lebensqualität.

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Das Buch "Cargobike Boom" bietet unglaublich viele Fakten und Wissenswertes rund um das Thema Lastenräder.

Foto: Maxime Verlag

Der Tretlager-Autor fuhr selbst jahrelang seine Kinder im Lastenrad (ohne E-Motor) durch Innsbruck. Mit dem Ergebnis, dass die drei heute selbst begeisterte Radler sind.

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Innsbruck – "Sobald man selbst auf einem Lastenrad sitzt, hat man definitiv das Gefühl: Hier geht was, was ich vorher nicht konnte." So beschreibt Juergen Ghebrezgiabiher den Aha-Effekt, der einen beim Thema Lastenräder überkommt, sobald man den Selbstversuch damit wagt. Sämtliche Theorie zum Thema hat der deutsche Fahrrad-Aficionado zusammen mit dem Vorarlberger Radlexperten Eric Poscher-Mika im Buch "Cargobike Boom", erschienen im Maxime-Verlag, zusammengefasst.

Auf über 200 Seiten beleuchtet das Duo jedweden Aspekt rund um das Thema Transportfahrräder. Dabei kommt natürlich auch die Geschichte, die sie in drei große Abschnitte von den Urahnen in der Pionierzeit des Rades über die Wiederentdeckung während der Ölkrise bis zur heutigen "dritten Welle" einteilen, nicht zu kurz. Wobei der Fokus des Buches auf dem praktischen Nutzen und den Einsatzzwecken dieser Mulis auf zwei oder mehr Rädern liegt.

Bis zu 400 Kilogramm Last

Wie umfangreich das Thema Lastenräder ist, zeigt sich schon bei der Klassifizierung derselben. Neben der groben Einteilung in ein- und mehrspurige Cargobikes – sprich ob sie zwei oder mehr Räder aufweisen – gibt es unzählige Unterkategorien, die sich vor allem daran orientieren, wo die Last transportiert wird, also etwa vor oder hinter dem Fahrer, oder aber auch nach der Art der Lenkung. Je nach Modell ist mit solchen Rädern der Transport von Zusatzlasten mit einem Gewicht von bis zu 400 Kilogramm möglich.

Angesichts dieser Belastbarkeit sind die Transporträder vor allem im urbanen Raum eine praktikable Alternative zum Auto. Dass dies längst keine Zukunftsmusik mehr ist, zeigen die Autoren mit einem europäischen Überblick zum Thema Förderung des Lastenrades. Schon seit den 1990ern gibt es nämlich Überlegungen und Projekte, den innerstädtischen Verkehr durch verstärkte Nutzung von Cargobikes zu entlasten.

Auch in Wien problemlos einsetzbar

Buchautor Poscher-Mika widerspricht übrigens dem – auch in diesem Forum – immer wieder vorgebrachten Argument, dass die Topografie Wiens ihrer Eignung als Fahrradstadt im Wege stehen würde. "Das ist ein Pseudoargument. Ich würde sagen, Wien, aber auch das Vorarlberger Rheintal eignen sich perfekt zum Radfahren." Sollte man in Hanglage wohnen, würden mittlerweile E-Motoren auch dieses vermeintliche Problem lösen. Wobei der Autor anmerkt, dass man sich als Transportradfahrer binnen kurzem eine merklich bessere Kondition antrainiere und somit auch kein Problem mit kleineren Hügeln habe.

Überhaupt, so die Autoren, sei der Trend zum E-Motor im Rad ein Segen für die Lastenräder. "Viele Leute, die vom Autofahren kommen, haben Bedenken, ob sie mit so einem Rad wirklich ihre Kinder oder größere Lasten transportieren können." Dank elektrischer Unterstützung wird dies nun aber auch für Ungeübte problemlos möglich. Allerdings wird die geltende Regelung, die die Nenndauerleistung von Pedelecs auf maximal 250 Watt begrenzt, kritisiert. Denn für E-Lastenräder sei eine andere Art der Begrenzung besser, weil diese gerade bei Steigungen und wegen des hohen Eigengewichtes plus der Beladung oft mehr Leistung über längeren Zeitraum benötigen.

Technik-Nerds und Aktivisten

Besonders interessant ist im vorliegenden Buch auch der Blick auf die unzähligen Tüftler und Hobbykonstrukteure, die im Bereich Lastenräder seit jeher tätig sind. So hat etwa ein Grazer schon 2011 die, gemäß den Autoren, erste Achsschenkellenkung über zwei sich verschiebende Lenktrapeze für "gabellose" Long Johns entwickelt. Er hat das technisch anspruchsvolle Produkt aus einem alten Puch-Rahmen und Teilen anderer Schrotträder zusammengebastelt. Diese Selbermacherphilosophie sei gerade in der Cargobike-Szene Tradition, ist aus dem Buch zu erfahren.

Neben den technischen und historischen Hardfacts gehen die Autoren von "Cargobike Boom" auch auf die ideologischen Fragen rund um das Transportrad ein. Dabei steht oft die Nutzung öffentlichen Raumes und von Verkehrsflächen im Zentrum. In diesen Kapiteln wird auch das Kunstprojekt "Retreat into the Streets" von Isabella und Dima Isaiev beschrieben, die sich 2015 eine Woche lang in einer minimalistischen Wohnbox auf einem chinesischen Lastenrad im öffentlichen Raum Wiens aufgehalten haben. Damit wurde unter anderem verdeutlicht, wie man mittels "Wohnrad" den öffentlichen Raum Straße neu interpretieren kann.

Transportwunder Fahrrad

Dass Lastenräder sogar dazu geeignet sind, Fernfahrten zu unternehmen, wird ebenfalls mit mehreren Beispielen belegt. Besonders amüsant ist etwa die Aktion RUMfahren von Salo Krug und Co-Autor Poscher-Mika. Um auf die Möglichkeiten emissionsfreien Warenverkehrs hinzuweisen, fuhren sie in sieben Tagen 863 Kilometer von Amsterdam nach Leipzig. Allein mit Pedalpower und mit 40 bis 50 Kilogramm Zulast auf ihren Bikes, die aus 24 Flaschen Rum und 100 Tafeln Schokolade bestand. Die Frage, die der Aktion zugrunde lag, lautete: "Wenn es Segelschiffe gibt, die Kaffee, Rum und Kakao über den Atlantik bringen, wie könnte der Weitertransport an Land aussehen?"

Neben derart überspitzten Herangehensweisen wird im Buch auch rein faktenbasiert auf die Frage des innerstädtischen Warentransports mittels Fahrrädern eingegangen. Die Autoren sind überzeugt, dass gerade darin die große Chance für die Zukunft dieser Gefährte liegt, und belegen das mit vielen Beispielen aus ganz Europa. Allerdings, so Poscher-Mika, braucht es einen niederschwelligen Zugang, etwa mittels Verleih- oder Sharing-Modellen, um dieses Denken auch bei uns salonfähig zu machen. Unter dem Titel Fairvelo hat Poscher-Mika einen solchen Zugang für Vorarlberger geschaffen. Über die Plattform können Sie im Sommer verschiedene Lastenräder ausleihen und testen.

Familienkutsche zum Selbertreten

Als Zielgruppe für Transporträder sehen die Autoren vor allem junge Familien, für die das Bike zur Autoalternative werden kann. Noch dominiere in Österreich, Deutschland und der Schweiz der klassische Fahrradanhänger aus den 1990ern. Dabei würden Lastenräder die viel sicherere und komfortablere Lösung bieten. Seitdem nun auch die Straßenverkehrsordnung den Transport von Kindern vor dem Rad erlaubt, steht der Nutzung solcher Modelle auch hierzulande nichts mehr im Weg. Allein ein besseres Förderprogramm wäre wünschenswert, denn derzeit unterstützt der Bund den Umstieg aufs Lastenrad nur sehr halbherzig mit maximal 400 Euro. Auf Länder- sowie Gemeindeebene muss man wiederum das Glück des richtigen Wohnsitzes haben, um in den Genuss einer Unterstützung zu kommen.

Aus eigener Erfahrung kann ich den Autoren hier nur beipflichten. Und genau wie Ghebrezgiabiher feststellte, ist die beste Art, sich vom Nutzen der Lastenräder zu überzeugen, es selbst auszuprobieren. Denn Transportbikes sind nicht nur praktisch, sie sind auch die lustigste Art der Fortbewegung, für den Fahrer wie auch die Passagiere. Und auch wenn Sie bereits begeisterter Cargobiker sind, werden sie im vorliegenden Buch noch viel Neues und Wissenswertes erfahren. So gesehen ist "Cargobike Boom" eine unbedingte Leseempfehlung, die perfekt dazu geeignet ist, die Wartezeit bis zur Schneeschmelze und damit zur Radlsaison zu überbrücken. (Steffen Arora, 22.1.2019)