"Ralph reicht’s 2: Chaos im Netz": Titelheld Ralph sucht Hilfe bei der dunklen Seite der Macht. Darknet-Boss Double Dan und sein kleiner Bruder Little Dan geben sich eher misstrauisch.

Foto: Disney

Mit dem Internet hat die Welt einen dritten Kosmos bekommen. Früher konnte man gut unterscheiden zwischen dem großen Kosmos, der sich in die unendlichen Weiten erstreckt, in denen das Raumschiff Enterprise unterwegs ist, und dem kleinen Kosmos, der irgendwann so klein wurde, dass man riesige Teilchenbeschleuniger braucht, um auch noch die letzten Fitzeleien im subatomaren Bereich zu erreichen.

Disney Deutschland

Das Internet ist jetzt Mikrokosmos und Makrokosmos zugleich: die Außenwelt der Innenwelt der Außenwelt. Oder umgekehrt. Einer der bekannteren Vorgänger dieser Zwischenwelt ist Ralph, eine noch nicht sonderlich hoch aufgelöste Videospielfigur, die ihre Freunde in einer Mehrfachsteckdose trifft. 2012 kam der Disney-Film Ralph reicht’s heraus. Seither ist in der Welt hinter dem Strom eine Menge passiert.

Das Internet hat erst so richtig Fahrt aufgenommen, seit es vorwiegend in smarten Telefonen wohnt. Dementsprechend geht es in der Fortsetzung Ralph reicht’s 2: Chaos im Netz (im Original: Ralph Breaks the Internet) um eine Reise in das Internet. Für einen Traditionskonzern wie Disney bedeutet das auch eine Gelegenheit, sich mit Bereichen der Popkultur zu beschäftigen, die von Schneewittchen und der Meerjungfrau Arielle denkbar weit entfernt sind.

Algorithmus und Filterblase

Und wie um der Sache auch besonderes Gewicht zu geben, wurden in diesem Fall nicht die Synchronsprecher auf Tournee geschickt. Stattdessen kam Clark Spencer nach Deutschland, der als Leiter der Animationsfilmabteilung zugleich einer der wichtigsten Executives des Studios ist. Spencer ist seit Lilo & Stitch (2002) dabei und steht für jene Tradition, die vom Zeichentrickfilm bis in die digitale Gegenwart reicht.

Das Gespräch in Berlin fand bereits im Sommer 2018 statt, als von Chaos im Netz erst eine Presseversion existierte. Es handelt sich also eher um einen Gesprächsversuch: Wie konkret mag sich so ein Spitzenmanager wohl zu den Themen äußern, an denen man auch einen Unterhaltungsfilm wie Chaos im Netz messen wird? Stichworte: Filterblasen, Algorithmik, Manipulation.

Spencer verweist zuerst einmal auf eine Figur, die im filmischen Intra-Internet dessen Logik vertritt. Sie heißt Yesss und ist ein Kalkulationswesen: "In der Welt von Buzzfeed und Youtube, um die es uns ging, hängt alles davon ab, dass Content und Nutzer zusammenfinden. Wir brauchten also eine Figur aus diesem Bereich, und so haben wir uns den Spaß erlaubt, einen Algorithmus zu vermenschlichen. Yesss macht aber eine Entwicklung durch. Dualität ist ein wichtiges Konzept bei Disney-Figuren. Yesss beginnt auf einer Seite und wandert dann allmählich auf eine andere Seite."

Sie prägt also so etwas wie Selbstkritik oder Reflexivität aus, während der gutmütige Einfaltspinsel Ralph (eine Art Atari-Obelix) in der frenetischen Welt der hyperaktiven Interaktion zunehmend an seiner ohnehin schwach ausgeprägten Identität einbüßt.

Doppelte Codierung

Ralph vertritt jedenfalls die eher leichtgläubigen Nutzer von Online-Services. Wie kriegt man ihn aus seiner Naivität heraus? Spencer verweist auf die Kunst der doppelten Codierung. Gerade Animationsfilme lassen sich mehrfach lesen, sie sind naiv und raffiniert zugleich. "Unsere Geschichten entstehen nicht am Reißbrett, wir setzen nicht auf angewandte Algorithmik im Storytelling", meint Spencer. Ein Balanceakt ist so ein Drehbuch aber in jedem Fall. Ralphs Freundin Vanellope spricht die Kindchenschemata der Generationen Tamagotchi und Folgende an, ist aber auch ein progressives Rollenmodell. Jedenfalls was Frauenpower am Steuer anlangt.

"Wir können dieses Großthema der Manipulation im Netz natürlich nicht in all seinen Facetten aufgreifen", räumt Spencer auf eine Frage nach zunehmender intellektueller Netzskepsis ein, "aber wir haben uns doch Gedanken gemacht, was zum Beispiel die vielen Kommentare im Netz für jemanden wie Ralph bedeuten könnten. Er ist ja eine verletzliche Figur, er braucht Zuspruch und Anerkennung. Wir haben also versucht, diese Interaktionen in den sozialen Medien auch auf ihn zu beziehen." Disney spielt in Chaos im Netz auch mit seinem eigenen Appeal. Der Konzern zieht seinem Prinzessinnen-Image den Stecker, strahlt dann aber nach Kurzschluss umso aparter. (Bert Rebhandl, 22.1.2019)