Schreiben als Parallellauf und Suche nach den doppelten Böden der Realität und des Sportbetriebs: der Skilangläufer Johannes Dürr (links) und der Schriftsteller Martin Prinz.

Foto: Lukas Beck/Insel Verlag

Der Sport sei voller Legenden, die in Wahrheit Lügen sind, gab der damalige Arsenal-London-Trainer Arsène Wenger 2015 dem "Guardian" zum Thema Doping zu Protokoll. Wenger, ein Franzose, Fußballästhet und Gentleman mit zuweilen schwachem Nervenkostüm, hatte schon in den Jahren zuvor, was die Verwendung "leistungsfördernder Substanzen" betrifft, kein gutes Gefühl gehabt und gemeint: "Wir haben eine Ära erreicht, in der wir Sieger verherrlichen, ohne nach den Methoden zu schauen." Vielleicht, so sein Fazit, tue es Not, einmal tiefer zu graben.

Gier nach Gold

Nichts geschah. Denn keine Freistoßmauer der Welt sollte sich als so stabil erweisen wie die Mauer des Schweigens, wenn es um Doping geht. Nicht nur im Fußball. Bekanntlich wurde auch der österreichische Sport in den letzten Jahren von Dopingfällen erschüttert.

Neben der Razzia im Quartier der österreichischen Skilangläufer während der Olympischen Winterspiele 2006 in Turin, als Bilder von aus dem Fenster geworfenen Blutbeuteln um die Welt gingen, oder dem Dopinggeständnis des Radrennfahrers Bernhard Kohl war es vor allem der "Fall" des Langläufers Johannes Dürr, der für Aufsehen sorgte. 2014 war er bei der Olympiade in Sotschi in der Nacht vor dem 50 Kilometerlauf, zu dessen erweitertem Favoritenkreis er gehörte, aus seinem Zimmer abgeholt worden. Sein EPO-Test war positiv. Dürr gab das Doping sofort zu und sprach vergangene Woche in der ARD-Dokumentation "Die Gier nach Gold" über sein damaliges Abgleiten in die Dopingszene.

Nachzulesen ist diese Geschichte, und nicht nur diese, auch in einem gerade erschienen Buch, das Dürr gemeinsam mit Martin Prinz geschrieben hat. Es heißt "Der Weg zurück" und dreht sich um eine "Sporterzählung", wobei der Titel auch auf Dürrs Versuch referiert, nach der zweijährigen Dopingsperre mit einem per Crowdfunding finanzierten Kleinteam wieder den Anschluss an die österreichische Langlaufspitze zu finden. Um sich – so der Traum – für die WM 2019 in Seefeld zu qualifizieren.

Die Droge Langlauf

Denn von der Droge Langlauf will Dürr nicht lassen, trotz der Trainingsbelastung neben dem Job und des angespannten Verhältnisses zum Österreichischen Skiverband, das auf Gegenseitigkeit beruht. Die formale Versuchsanordnung in dem Band ist nur auf den ersten Blick einfach. Es gibt zwei Ich-Erzähler. Der eine, Dürr, hatte zwar erfolgreiche Probetrainings unter anderem bei Rapid absolviert, entschied sich aber für das Langlaufen, in dem er zur Junioren-Weltspitze gehörte. Der andere, Martin Prinz, war einst im niederösterreichischen Langlauf-Landeskader, wählte aber den Beruf des Schriftstellers, in dem es wie im Sport ohne Rückschläge kein Gelingen gibt.

Ergänzt wird der erzählerische und zuweilen sehr persönliche Parallellauf – der Deal war, zusammen zu trainieren und gemeinsam zu schreiben – durch in der Er-Form geschriebene Passagen, die Dürrs Werdegang, seine Siege und Niederlagen, Verzweiflungen und, ja, auch sein Glück und Unglück als Sportler und Mensch beschreiben.

Das Buch wählt eine radikale Perspektive der Nähe, die das Risiko der Distanzlosigkeit sehr bewusst in Kauf nimmt. Es sei in der Erzählung, die mit dem Ende aller Träume, nämlich jener Nacht in Sotschi, beginnt, laut Prinz darum gegangen, "nicht in die aufgestellten Biografie- und Wirklichkeitsfallen zu tappen, die suggerieren, dass man es mit Wirklichkeit zu tun hat, wenn man Dinge nur genau genug abbildet". Vielmehr versucht der Band wie jede Literatur, wenn sie gut ist, die Klappe zu den doppelten Böden der Wirklichkeit und der Seele einen Spalt breit zu öffnen.

Keine Rechtfertigungen

Es gehört zu den Stärken des Textes, dass er weit davon entfernt ist, sich in Rechtfertigungen oder Anklagen zu erschöpfen. Dazu werden zu viele Fragen aufgeworfen, die sich nicht letztgültig beantworten lassen. Fragen nach eigenen Grenzüberschreitungen und Effizienzdenken, Fragen aber auch zur Scheinmoral und der Parallelgesellschaft des Profisports mit ihren Machtstrukturen und ökonomischen Abhängigkeiten. Hochleistungssport, heißt es an einer Stelle von "Der Weg zurück", kann auch als Metapher für das Scheuklappen- und Konkurrenzdenken unserer Gesellschaft gelesen werden.

Das letzte Kapitel des Buches endet im Offenen – und mit dem WM-Traum. Das Ende der Geschichte wird die Realität schreiben. So deutete ÖSV-Präsident Peter Schröcksnadel in dieser Zeitung an, eine Qualifikation Dürrs für die WM-Staffel sei "nicht vorstellbar". Dürr, daran besteht wenig Zweifel, wird weiterlaufen. Das Schweigen über EPO, Eigenblutdoping und Wachstumshormone hat er jedenfalls gebrochen. Auch mit diesem eindrucksvollen Buch. (Stefan Gmünder, 23.1.2019)