Der Praterstern war 2018 einer jener Orte, wo besonders viel Polizei präsent war. Überstunden mussten die Beamten aber vor allem wegen der Ratspräsidentschaft schieben. Durchschnittlich 38 Stunden pro Monat.

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Der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) will 1.000 Polizisten mehr für Wien. Er schlägt sogar vor, die Kompetenz für die Exekutive vom Bund zu übernehmen. Man brauche "mehr Polizisten und weniger Pferde", sagte er in Richtung Innenminister Herbert Kickl (FPÖ).

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Der Innenminister hält nichts von den Forderungen Ludwigs. Unter seiner Ressortverantwortung sei kein einziger Polizist weniger auf der Straße. Es werde sogar mehr Beamte geben. Das Sicherheitsgefühl der Österreicher verlange das. Aber: "Da brauche ich aber nicht den Wiener Bürgermeister."

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Es ist Dienstagmittag, und Eleonore B. (Name geändert) ist gerade aufgewacht. Die 30-jährige Polizistin ist keine Langschläferin, sondern hat sich nach einer Nachtschicht noch ein paar Stunden hingelegt. Obwohl sie die Polizeischule erst vor wenigen Wochen abgeschlossen hat, gehören solche Schichten schon zur Normalität, sagt sie. "Und Überstunden sowieso. Darauf wird schon in der Schule hingewiesen."

Die Mehrarbeit stört B. aber nicht, denn Überstunden seien besonders bei jungen Polizisten beliebt, um das Grundgehalt aufzubessern. Zur Einschätzung: Unmittelbar nach Abschluss der Grundausbildung verdient man 1.736 Euro brutto.

Millionen Überstunden im ganzen Land

Die Anzahl geleisteter Überstunden ist landesweit allerdings derart explodiert, dass das Innenministerium per Anordnung eine radikale Reduzierung fordert. 15 bis 20 Prozent weniger Überstunden sollen es demnach sein.

Polizeigewerkschafter und Lokalpolitiker kritisieren, dass Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) zwar den Sicherheitsminister gebe, mit dieser Anordnung die Polizeipräsenz allerdings leiden werde (siehe unten).

In Wien lag die durchschnittliche Mehrbelastung pro Exekutivbediensteten bei 38,3 Stunden pro Monat – bei einer Fünftagewoche wären das also fast zwei Stunden mehr pro Arbeitstag. Vor einem Jahr waren es mit durchschnittlich 30,4 noch deutlich weniger Mehrstunden. "Die Erhöhung ist auf die zahlreichen Aufgaben im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft zurückzuführen, da der Großteil der Veranstaltungen dazu in Wien stattgefunden hat", sagt Daniela Tunst, Sprecherin der Wiener Polizei.

Ludwig vs. Kickl

Auch der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) schaltet sich deswegen in die Diskussion ein. Für Wien wünscht er sich 1.000 Polizisten mehr. Allerdings nicht, weil die Kriminalität zunehme oder es Probleme in der Bekämpfung dieser gebe, sondern weil man die aktuell zufriedenstellenden Zahlen halten müsse. Am Dienstagabend ging der Stadtchef noch einen Schritt weiter. Die Stadt Wien sei bereit, die Kompetenz für die Polizei vom Bund zu übernehmen. Mit den dortigen Weichenstellungen ist Ludwig nicht zufrieden. Kickl bezeichnete das Angebot bald darauf allerdings als "unpassenden Faschingsscherz".

Was gilt also? Ist die Wiener Polizei unterbesetzt? Ist für genügend Nachwuchs gesorgt? Leidet die Sicherheit?

Polizeipräsident sieht Personalmangel

Die Landespolizeidirektion Wien hat derzeit knapp 9.000 Mitarbeiter, 7.739 davon im Exekutivbereich. 2008 waren es noch 6.613, jeweils inklusive Polizeischülern. Sprecherin Tunst zufolge ist ein Vergleich der Zahlen aber nicht seriös, da es Reformen gegeben habe und sich die Strukturen, aber auch die polizeilichen Aufgaben verändert hätten: Administrative Aufgaben sollten demnach reduziert werden und die Beamten mehr draußen unterwegs sein. Das wird in Wien an mehreren Orten sichtbar. Während der Ratspräsidentschaft war die Präsenz vor allem in der Innenstadt groß. Aber auch an sogenannten Hotspots, wo kurzfristig mehr Beamte gefordert sind. In Wien sei das im letzten Jahr etwa der Praterstern gewesen.

Der Wiener Polizeipräsident Gerhard Pürstl spricht jedenfalls von einer sinkenden Zahl an Beamten. Die Ursachen dafür müsse man weit in der Vergangenheit suchen und bis zu 35 Jahre zurückgehen. Weil es damals Sparmaßnahmen gab, dürfe man sich heute nicht wundern, wenn es Probleme gibt.

Neue Stellen sollen Abhilfe schaffen

Damit die anstehenden Pensionierungen zu keinen groben Problemen führen, hat das Innenministerium im letzten Jahr bereits neue Planstellen geschaffen. Berufseinsteigerinnen wie Eleonore B. sollen die Personalsituation unter anderem entlasten. Bislang war es so, dass Polizeischüler erst dann in den normalen Dienst aufgenommen werden konnten, wenn eine normale Planstelle frei wurde. Seit letztem Jahr gibt es 2.000 "Ausbildungsplanstellen", hier kann schon früher begonnen werden.

Damit genügend Nachwuchs da ist, wird einerseits fleißig rekrutiert, andererseits wurden die Aufnahmebedingungen für die Polizeischule im letzten Jahr vereinfacht, weil nicht genügend Interessenten den Test schafften.

Ambivalentes Verhältnis zu Mehrarbeit

Allerdings seien Beamte "großteils überhaupt nicht glücklich damit, dass viele Neue kommen", erzählt Jungpolizistin B. "Schon gar nicht jene, die das neue Aufnahmeverfahren durchlaufen haben." Einerseits weil viele ungeeignete Leute durchkommen würden, "deren Fehler nicht nur lästig, sondern auch gefährlich werden können". Auf der anderen Seite, weil Polizisten, die noch nicht so viel verdienen, sehr gern Überstunden machten. "Die sehen nicht gern, dass ihnen diese Möglichkeit genommen wird."

Neben den bundesweit 2.000 Ausbildungsplanstellen wurden 2.100 zusätzliche Planstellen beschlossen. Bereits 2019 werde damit begonnen, die insgesamt 4.000 Stellen zu besetzen, heißt es aus dem Innenministerium.

Kein Sicherheitsproblem

Für die Sicherheit in der Bevölkerung drohe also keine Gefahr: nicht durch den Abbau der Überstunden, wie die Regierung versichert, und auch nicht durch Personalprobleme in Wien, wie Pürstl betont. Die Kriminalität sei in Bereichen wie Raub oder Einbruch wesentlich gesunken. Allerdings kam es im letzten Jahr zu mehr Morden und Messerangriffen.

Außerdem kann trotz des Aufschreis aus den Landespolizeidirektionen nicht davon die Rede sein, dass es viel zu wenig Polizisten gibt – zumindest wenn man Österreich mit anderen EU-Ländern vergleicht. Demnach kommen durchschnittlich 318 Polizisten auf 100.000 Einwohner. Österreich liegt mit einem Anteil von 333 Polizisten laut Innenministerium darüber. (lhag, 24.1.2019)