Wien – Nach der Häufung schwerer Gewalttaten an Frauen in den vergangenen Wochen haben sich am Mittwoch auf Einladung der Zweiten Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ) die Frauen- und Gleichbehandlungssprecherinnen fast aller Fraktionen sowie mehrere ExpertInnen zum Dialog getroffen. Es solle ein "Schulterschluss über Parteigrenzen hinweg für Prävention, Opferschutz und Sensibilisierung" sein, hieß es.

Es sei eine gesellschaftliche und politische Verpflichtung, um gegen Gewalt an Frauen anzutreten, betonte Bures. "Es geht nicht darum, politisches Kleingeld zu machen", sagte sie. Das Gespräch sei auf sachlicher Ebene geführt worden. "Es zeigt, dass wir alle gefordert sind." Das Zuhause ist "eigentlich der Ort, wo man sich Schutz und Fürsorge erwartet", so Bures. "Wir werden alles in unserer Macht Stehende tun, dass Frauen ohne Angst leben können". Die wichtigste Gewaltprävention sei, dass Frauen gestärkt, unabhängig und selbstbestimmt leben können. Im Mittelpunkt des Dialogs stehen Vernetzung, Sensibilisierung, die Unterstützung der Opfer und Männerarbeit. Ökonomische Unabhängigkeit sei ein Teil davon – u.a. Stichwort "Unterhaltsgarantie" über die sich alle Parteien einig waren".

Im Kindesalter beginnen

Die Politikerinnen – neben Bures waren Beate Meinl-Reisinger (NEOS), Stephanie Cox und Alma Zadic (beide Liste Jetzt), Stefanie Karlovits (als Vertreterin von Carmen Schimanek, FPÖ) anwesend – und die Experten, die sich in der täglichen Arbeit mit dem Thema befassen, waren sich bei diesem ersten Dialog in vielen Punkten einig. Ein wichtiger Ansatz sei etwa die Präventionsarbeit, die schon im Kindesalter beginnen soll. Bereits in Kindergärten und Schulen sollten Rollenklischees behandelt werden, "mit dem Ziel einer Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen".

Jene, die Opfer häuslicher Gewalt geworden sind, müssen unterstützt werden, sagte Bures. Das beginne bei Opferschutzeinrichtungen und ende bei der Existenzsicherung der Frauen, die sich meist in einem finanziellen Abhängigkeitsverhältnis zu den Tätern befinden. "Die Absicherung und Budgetierung ist uns besonders wichtig", meinte Martina Ludwig-Faymann, Vorsitzende des Vereins Wiener Frauenhäuser. Präventionsarbeit beginne bereits bei den ganz Kleinen im Kindergarten. Udo Jesionek, Präsident der Verbrechensopferschutzorganisation Weisser Ring, betonte, dass Opfer unbedingt möglichst rasch Hilfe bekommen sollen. Aus Datenschutzgründen sei das bisher nicht immer möglich gewesen, das müsse geändert werden.

Anzeigenbereitschaft steigern

"Die Gesetzeslage ist ausreichend, wichtig wären die Umsetzung und eine erhöhte Anzeigebereitschaft", sagte die Strafrechtsexpertin und Kriminologin Katharina Beclin. Dafür müssten betroffene Frauen etwa finanziell unabhängig von den Tätern werden. Es müsse daher auch möglich sein, Unterhalt einzuklagen. "Jetzt fürchten viele Frauen, ihre Wohnungen zu verlieren und zeigen nicht an", so Beclin. "Wir brauchen auch eine höhere Verurteilungsquote." Bevor es zu einer Einstellung des Verfahrens komme, müsse es verpflichtende Einvernahmen geben.

Für eine Sensibilisierung von Staatsanwälten und Richtern hinsichtlich des Themas sprach sich die juristische Prozessbegleiterin Sonja Aziz aus. Die Vorsitzende der Österreichischen Frauenhäuser, Andrea Brem, wies darauf hin, dass "Grätzelarbeit" für effektiven Opferschutz sinnvoll sei. Dafür müsse man engmaschig und gut vernetzt zusammenwirken. Kerstin Schinnerl von der Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie betonte die Wichtigkeit von Sanktionen gegen die Täter: "Das ist eine Nachricht für andere Täter, wenn es ohnehin keine juristischen Folgen hat. Die Gesetze sind gut, aber es ist noch so viel Luft nach oben, wenn es um die Umsetzung geht." Zudem müsse es systematische Gefährdungsanalysen geben – wenn nötig, müsse über Täter rasch U-Haft verhängt werden können.

Auch die Täterarbeit – etwa ein Anti-Gewalt-Training bereits bei der ersten Wegweisung – müsse ausgebaut werden und in weiterer Folge zum Opferschutz führen, sagte Bures. Psychotherapeut Alexander Haydn von der Männerberatung Wien wies darauf hin, dass es wichtig sei, möglichst früh an Gefährder mit dem Angebot der Täterarbeit heranzutreten. Seit 20 Jahren gebe es hier bereits in Zusammenarbeit mit der Interventionsstelle ein gutes Modell. Zudem hielt er fest, dass es grundsätzlich ein anderes Rollenbild der Männlichkeit geben müsse – Kindern und Jugendlichen solle das Bild der "Caring Masculinity" ("Fürsorgliche Männlichkeit"; Anm.) vermittelt werden. "Vorbilder für Burschen müssen auch in der Lebensrealität ankommen", sagte Bures. Das gelte etwa auch für das Schließen der Einkommensschere. Auch scheinbar Unbedeutendes wie die Inkludierung von Frauen in der Bundeshymne machen einen Unterschied.

In die Gesellschaft investieren

"Da muss man Geld in die Hand nehmen, und es ist kein Geld aus der Portokasse", sagte Haydn. "Aber es ist eine Investition in die Gesellschaft." Die höhere Budgetierung von Täterarbeit, so waren sich alle einig, dürfe nicht auf Kosten des Opferschutzes gehen. "Die Vorschläge aus dem heutigen Gespräch werden zusammengefasst", sagte Bures abschließend. Sie werde sich bemühen, für die Forderungen eine parlamentarische Mehrheit zu bekommen, um diese voranzutreiben.

Der Einladung von Bures sind alle Parteien bis auf die ÖVP gefolgt. Die Regierungspartei ließ sich wegen ihrer Klubtagung entschuldigen. "Wir werden sie für das nächste Mal wieder einladen", meinte die Nationalratspräsidentin. ÖVP-Frauensprecherin Barbara Krenn bedauerte am Nachmittag in einer Aussendung, dass sie erwartet habe, dass "bei der Terminfindung für die heute abgehaltene Frauenveranstaltung auf die seit Wochen bekannte Klubklausur des ÖVP-Parlamentsklubs Rücksicht genommen worden wäre".

Kritik an dem Treffen kam neben Krenn auch von der FPÖ-Frauen- und Gleichbehandlungssprecherin Carmen Schimanek, die am Mittwoch eine Vertretung schickte. "Maßnahmen gegen Gewalt an Frauen zu setzen, ist angesichts der jüngsten Ereignisse wichtiger denn je. Während die Regierungsparteien FPÖ und ÖVP jedoch an gemeinsamen Lösungsstrategien arbeiten, versuchen die Oppositionsparteien wieder einmal, ihren eigenen Weg einzuschlagen", erklärte Schimanek in einer Aussendung. "Es wäre bei weitem sinnvoller, wenn SPÖ, NEOS und Liste Jetzt gemeinsam mit den Mitgliedern der Bundesregierung an den Problemen arbeiteten, anstatt diese mit eigenen Veranstaltungen zu konterkarieren." (APA, 32.1.2019)