Venezuelas Bevölkerung geht derzeit in Massen auf die Straßen.

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Venezuelas Parlamentspräsident Juan Guaidó setzt alles auf eine Karte: Der junge Oppositionelle erklärte sich am Mittwoch nach jahrelanger wirtschaftlicher wie demokratischer Krise, die mit mehr als drei Millionen Geflohenen eine der größten Fluchtbewegungen der Gegenwart ausgelöst hatte, zum Interimspräsidenten. Der Machtkampf im erdölreichsten Land der Welt ist vollends entbrannt. Der mittlerweile autokratisch regierende, linksnationalistische Präsident Nicolás Maduro, Nachfolger seines politischen Ziehvaters Hugo Chávez, steht für den rasanten wirtschaftlichen Verfall des Landes und den sukzessiven Rückbau demokratischer Institutionen zum eigenen Machterhalt.

Wenn Guaidó, dessen Parlament seit 2017 de facto entmachtet ist, nun zu dieser riskanten Radikalmaßnahme greift, gleicht das mehr einer Verzweiflungstat als einem ausgeklügelten Schachzug. Zwar hat er sich vorab für diesen Schritt international Rückhalt geholt. Schnell war beispielsweise die Unterstützungserklärung und Anerkennung aus den USA da, die sich Zugang zu den Erdöl- und Bodenschätze-Reichtümern des südamerikanischen Landes versprechen. Ob der Hoffnungsträger jedoch einen Plan B hat – falls Maduro nicht einlenkt –, ist ungewiss.

Maduros Gangsterstaat

Relevant ist zum aktuellen Zeitpunkt aber vor allem, wie das Militär auf den Coup reagiert. Was hat Guaidó den Generälen zu bieten, was sie dazu bringen könnte, die Seiten zu wechseln und Maduro ihre Unterstützung zu entziehen? In Maduros Gangsterstaat sind die Militärspitzen mit Korruption und Drogenhandel intensiv verflochten. Für die Generäle geht es im Machtkampf um Bankkonten und Pfründe. Sie sind einige der wenigen, die trotz der unfassbaren Inflation von mehr als einer Million Prozent gut über die Runden gekommen sind. Aber auch im Militär gibt es Unzufriedene, die Balance könnte auch dort kippen. Eine militärische Intervention gegen die zutiefst verzweifelte eigene Bevölkerung, die derzeit wieder in Massen auf die Straßen geht, wäre jedenfalls verheerend und würde wohl in einen Bürgerkrieg münden.

Neuwahlen anzusetzen ist jetzt auch aus der Sicht Maduros der einzige Weg, um die brandgefährliche Situation zu entschärfen, in der auch eine Intervention der USA im Raum steht. Maduro ist international zunehmend isoliert, und auch wenn Verbündete und Geldgeber wie China und Russland ihm nun den Rücken stärken, so warnen sie doch vor einer militärischen Eskalation. Asyl bei seinen Verbündeten für ihn und seine Vasallen wäre wohl dennoch garantiert. Noch versucht er aber, sich mit dem Ausspielen der Imperialismuskarte gegen die Entwicklungen zu stemmen und Guaidó als Marionette der USA zu diskreditieren. Fakt ist: Maduro steht mit dem Rücken zur Wand. Jedes Szenario für seinen Machterhalt würde das Land in die Katastrophe führen. Es ist Zeit, das Drama zu beenden. Die kommenden Stunden werden das Schicksal Venezuelas entscheiden. (Manuela Honsig-Erlenburg, 24.1.2019)