Bérénice Hebenstreit kämpft gegen Schieflagen.


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Gleichbehandlungsbericht

Foto: APA/Hubert Neubauer

Seit Jahrzehnten wird intensiv diskutiert, doch faktisch ändert sich kaum etwas: Frauen sind (nicht nur) im Theaterbetrieb unterrepräsentiert, insbesondere an entscheidenden Positionen wie in der Regie oder als Autorin. 78 Prozent Männerquote bei den Intendanzen – das ergab im Vorjahr eine von Kunststaatsministerin Monika Grütters in Deutschland in Auftrag gegebene Studie. In Österreich sieht die Sache nur wenig besser aus. Und wenn Karin Bergmann im Sommer als Burgtheaterdirektorin abtritt, werden wieder alle Bundestheater in männlicher Hand sein.

Die Bekundungen vonseiten der Sektion für Kunst und Kultur des Bundeskanzleramts klingen indes nett: "Der Aspekt des Frauenanteils, auch in Führungspositionen, wird sehr ernst genommen." Und tatsächlich ist im aktuellen Bundesgleichbehandlungsbericht (2018) zumindest bei den Beiräten und Jurys ein Frauenanteil von 56 Prozent angeführt. Wer sich aber den Theaterbetrieb konkret anschaut, dem bietet sich ein anderes Bild.

Es ist zum Feuermauerhochklettern: Frauen kämpfen auf den Theaterbühnen massiv um Sichtbarkeit und Repräsentanz.
Foto: imago/Martin Müller

Bérénice Hebenstreit hat es getan. Gemeinsam mit zwei Kollegen hat die Wiener Theaterregisseurin (31, Superheldinnen am Volkstheater, 2017) die größeren österreichischen Bühnen in Hinblick auf das Geschlechterverhältnis durchforstet und für die Spielzeit 2017/18 sowohl im Bereich der Theaterleitung als auch der Regie und Autorschaft erhebliche, in Wahrheit indes wenig überraschende Schieflagen festgestellt. Bei der Veranstaltungsreihe Die Spielplan im Volkstheater wurden die Ergebnisse präsentiert. Von 149 Inszenierungen waren nur 44 von Frauen, und davon waren wiederum die meisten in Nebenspielstätten versteckt. 89 Prozent der Stücke wurden von Männern geschrieben.

Noch die schönsten Absichtserklärungen nützen also nichts, wenn es keine Wegweiser gibt. Hebenstreit ist deshalb für die Quote. "Wir können nicht davon ausgehen, dass sich aufgrund der Qualifikation von Frauen die Quote von allein einstellt." Oder wie es Amina Gusner sagt: "Daumen drücken reicht nicht." Gusner ist Mitglied beim Verein Pro Quote Bühne, der 2017 in Deutschland gegründet wurde mit dem Ziel, Geschlechtergerechtigkeit voranzutreiben. In einem Manifest fordern die Mitglieder "Männergagen für alle" sowie generell mehr Transparenz beim Aufteilen künstlerischer Etats.

Den Kanon neu hinterfragen

Eine 50-Prozent-Quote ist ein unabdingbares Instrument, aber noch kein Allheilmittel, ergänzt Hebenstreit. Denn die geringe Zahl von Bühnenautorinnen hängt vor allem mit einem von Männern entwickelten Kanon zusammen, der Frauen ausgeklammert hat. Theaterhäuser bestreiten ihre Spielpläne aber zu einem Großteil mit Werken dieses Kanons, von Aischylos bis Shakespeare, Tschechow oder Brecht. Fällt Ihnen eine Frau ein? Dem Burgtheater auch nur wenige. Von 56 aktuell im Repertoire befindlichen Stücken stammen 48 von Männern.

Eine entscheidende Forderung lautet deshalb, den Kanon neu zu hinterfragen und die konsequent verdrängten Schreiberinnen aus sämtlichen Jahrhunderten endlich zu erforschen. Ein Weg, den die Belletristik übrigens schon länger beschritten hat. Doch ein solches Vorhaben braucht Zeit und vor allem Geld, sprich Forschungsaufträge. Dramaturgenbüros allein können das nicht leisten.

Übergangslösung: Frauen spielen Männerrollen

Derzeit ist das Publikum mit Klassikern konfrontiert, "die historische Geschlechterbilder aus männlicher Sicht reproduzieren", so Hebenstreit. Ganze Regieklassen mühen sich ab, dem tradierten Dramenmaterial tragfähige Frauenfiguren abzutrotzen, zudem wird besetzungstechnisch an der Frauensichtbarkeit gearbeitet (Frauen spielen Männerrollen, bis hin zu Hamlet). Doch das können nur Übergangslösungen sein.

Um an der Sichtbarkeitsschraube zu drehen, reicht es auch nicht, Frauen in Führungspositionen vorzulassen und sie dort händeringend nach Dramatikerinnen und Regisseurinnen Ausschau halten zu lassen. Es ist ein Teufelskreis: Durch ihre kanonlose Geschichte haben Dramatikerinnen kein den Männern vergleichbares Bezugsfeld und somit auch keinen Pool an Vorbildern. Zudem drückt eine kanonlose Geschichte den "Marktwert", mit dem in Richtung Auslastung argumentiert wird. "Man" ist es gewohnt, von Männern große Themen verhandelt zu bekommen, siehe Jedermann, aus den oben genannten Gründen aber nicht von Frauen. Deshalb sind Genie und Männlichkeit auch bis heute fest vertäute Begriffe.

Jede Frau müsste folglich für sich allein (da es an strukturellen Regelungen mangelt) diese gläserne Decke durchbrechen. Warum tun sie es nicht? Hebenstreit: "Nachdem sie auf großen Bühnen eh keine Chance haben, beginnen sie gleich für Nebenspielstätten zu schreiben und rutschen damit auf das Unsichtbarkeitsförderband." So setzt sich die Diskriminierung fort.

Ein Recht auf unterschiedliche Erzählperspektiven

Diese ist nicht beabsichtigt, denn Theater ringen sehr wohl darum, ihre Spielpläne in allerlei Hinsicht diverser zu machen. Schließlich hat das Publikum ein Recht auf Geschichten aus unterschiedlichen Erzählperspektiven, Wissens- und Erfahrungsräumen.

Die Crux: Auf allen gesellschaftlichen Ebenen wird geschlechtlich diskriminiert. Und wer die Diskussion ernsthaft führen will, muss über den Theaterbetrieb hinausblicken, denn die ursächlichen Gründe für die Schieflage im Theaterbereich liegen in der generell ungerechten Aufteilung von Lohnarbeit und unbezahlter Versorgungsarbeit, so Hebenstreit.

Die Politik wäre also dringend gefordert. Zumal es auch volkswirtschaftlich fragwürdig ist, hochqualifizierte Frauen gewohnheitsmäßig abzudrängen. Mit dem Rückbau von staatlichen sozialen Einrichtungen wird die Kluft derzeit aber noch größer.

Intendanten und Intendantinnen laufen derzeit gegen diese Realität an. Man kann es von einer Spielzeit zur nächsten weiter ablesen: Frauen landen beim Kinderstück auf den Nebenspielstätten, oder sie heißen Mary Shelley und Elfriede Jelinek. Dass sich gerade der Theaterbetrieb, der gern progressiv auftritt, in dieser gesellschaftspolitischen Frage so träge zeigt, sei enttäuschend, so Hebenstreit. Sie selbst inszeniert derzeit Karin Peschkas Watschenmann. In der Nebenspielstätte. (Margarete Affenzeller, 25. 1. 2019)