"Die große Welle von Kanagawa" des japanischen Künstlers Hokusai. Das Original des Holzschnitts ist fast 200 Jahre alt. Seit kurzem weiß man, das echte Monsterwellen genau so aussehen.
Illustration: gemeinfrei

Oxford/Wien – Obwohl Seeleute seit Jahrhunderten immer wieder davon berichtet hatten, galten Monsterwellen lange als Seemannsgarn. Forschern schien es unmöglich, dass einzelne Wellen im Meer quasi aus dem Nichts entstehen können, die um das Zwei- bis Dreifache höher sind als die Wellen um sie herum.

Im Jahr 1995 änderte sich diese Skepsis der Forscher mit einem Schlag. In der Neujahrsnacht gelang nämlich in der Nordsee die erste Dokumentation einer solchen Riesenwelle: Die automatische Wellenmessanlage der norwegischen Ölbohrplattform Draupner-E registrierte während eines Sturms eine einzelne Welle, die 25,6 Meter hoch war.

Rekonstruktion der Welle, die am 1. Jänner die Ölbohrplattform Draupner-E erschütterte.
Grafik: CSIRO/ CC-by-sa 3.0

Quasi als Bestätigung wurde am 11. September 1995 auch noch der britische Luxusliner Queen Elizabeth 2 auf dem Weg von Cherbourg nach New York vor Neufundland von einer 30 Meter hohen Monsterwelle getroffen, die in dieser speziellen Form als Draupner-Welle bezeichnet wird. Wie durch ein Wunder gab es auf dem Schiff keine Verletzten. (Neben der Draupner-Welle gibt es übrigens noch zwei andere Arten von Riesenwellen.)

Nachbau im Wellenkanal

Seit dem Jahr 1995 hat nicht nur die Erforschung dieses Phänomens Fahrt aufgenommen, auch im Schiffbau musste man darauf reagieren: Versicherungen verlangten, dass die maximale Belastbarkeit von Hochseeschiffen auf Wellen ausgelegt werden sollte, die höher als 16,5 Meter sind. Und Hydrodynamiker sind seitdem damit beschäftigt, eine Erklärung für das Zustandekommen solcher "Freakwaves" zu liefern.

Rogier Boer

Das ist bisher nur teilweise gelungen, da sich die Monsterwellen im Wellenkanal schwer "nachbauen" lassen. Doch nun dürfte einem Team um Mark McAllister (Universität Oxford) gelungen sein, das Geheimnis zu lüften. Ihr Trick: Sie verwendeten ein rundes Wellenbecken, in dem sie Wellen aus zwei Richtungen kommend kollidieren ließen – und zwar in den Winkeln von null, 60 und 120 Grad.

Erklärung für die enorme Höhe

Bei 120 Grad trat das gewünschte Ergebnis ein, wie die Forscher im "Journal of Fluid Mechanics" berichten. Die Welle, die bei diesem Aufeinandertreffen entstand, war eine maßstabsgetreue Draupner-Welle, die gut doppelt so hoch war wie die beiden Wellen, die aufeinander zurasten.

Diese enorme Höhe entstand vor allem dadurch, dass sich eine Art Strahl bildete, der die Wassermassen nach oben katapultierte: Die Vorwärtsbewegung der Welle wurde in eine Aufwärtsbewegung verwandelt, und die Welle wurde gleichsam zum "Stehen" gebracht. Wie McAllister und seine Kollegen resümieren, dürfte die Kreuzung von Wellen in diesem großen Winkel der entscheidende Faktor für die Entstehung der Freakwaves sein. Die Forscher erhoffen sich, dass sich diese Erkenntnis womöglich auch für Prognosen und konkrete Warnungen umsetzen lässt.

Überraschende Entdeckung

Bei genauer Betrachtung dieser Draupner-Welle im Miniformat machten die britischen Forscher freilich noch eine weitere erstaunliche Entdeckung: Der Form nach war die Welle quasi eine Kopie der berühmten großen Welle von Kanagawa, die der japanische Künstler Katsushika Hokusai vor fast 200 Jahren in einem Holzschnitt verewigt hatte. (Klaus Taschwer, 25.1.2019)

University of Oxford