Auf der Rennstrecke in Portimao, Portugal, ist es mucksmäuschenstill. Ein Rudel Gölfe steht in der Boxenstraße. Nervöse Ergriffenheit bei den Journalisten. Blankes Entsetzen bei mir. Entweder die anderen sehen es nicht, oder sie sind wirklich so wilde Hunde, wie sie immer tun. Ich kann meinen Blick kaum lösen von den Hinterreifen der Golf GTI TCR, die da in der Boxenstraße stehen. Nach wenigen Runden ist dort, wo für gewöhnlich ein Profil ist, eine fast durchgehende Gummifläche. Es fehlt nicht mehr viel, und wir könnten von Slicks reden. Und das kann nur eines heißen: In diesem Heck ist mehr Dynamik als in dem jedes anderen Fronttrieblers.

Als das Foto gemacht wurde, haben sie noch gut ausgeschaut, die Pilot Sport Cup 2 von Michelin.
Foto: Volkswagen

Ford hat es mit dem Focus RS 2010 gewagt, 350 PS allein über die Vorderräder auf die Straße zu bringen. Das gelang dank einer besonderen Aufhängung der Vorderräder ganz gut. Revo Knuckle hieß das damals. Gab es auch im Mégane R.S., den man keinen Renault nennen darf. Auch Volkswagen hat Erfahrung damit, starke Frontantriebe zu bauen. Nicht zuletzt der Rennwagen Golf GTI TCR, dem das gleichnamige Sondermodell nun huldigen soll, hat 350 PS Leistung.

Das ist der Rennwagen. Das erkennt man nicht nur am Spoiler.
Foto: Volkswagen

Aber gut, das ist ein reiner Rennwagen. Käfig statt Komfortsitze, blankes Blech statt Teppichboden, Vierpunktgurte statt Spurhalteassistent. Und entweder sequenzielles Getriebe oder DSG.

Nicht einmal ein Radio ist im Rennwagen, aber dafür viele Gurte.
Foto: Volkswagen

Den Serien-TCR, den gibt es natürlich nur mit dem Doppelkupplungsgetriebe, er hat eine Leistung von 290 PS, schenkt den Rennwagen beim Sprint von 0 auf 100 km/h aber nur ein paar Zehntel. Und anscheinend bei der Kurvengeschwindigkeit auch nicht viel mehr, wenn die Hinterreifen der Autos in der Box nicht unter amoklaufenden Reifenwärmern zusammengeschmolzen wurden.

Und so schaut der Serien-TCR aus.
Foto: Volkswagen

Schon in der zweiten Kurve ist klar: Nein, das war kein Reifenwärmer. Das muss man sich so vorstellen. Nachdem du dein Sitzerl gerichtet hast – ein Sportsitz übrigens, der einen Halt gibt wie ein Klettverschluss – und das Lenkradl eingestellt, das Setup der Fahrdynamikregelung irgendwo in Richtung "Schon sportlich, bitte, aber Mark Webber bin ich dann doch keiner" programmiert und den Getriebeschalthebel auf S gestellt hast, rollst du mit weichen Knien die Boxenstraße raus.

Die Sitze des GTI TCR waren in ihrem früheren Leben Schraubstöcke.
Foto: Volkswagen

Also zumindest bei mir ist das immer so. Dann kommst du irgendwann zu einem Strich, der nichts anderes bedeutet als Boxengasse Ende, Rennstrecke Anfang. Und dann trittst du das rechte Pedal in die Bodenplatte. Vorbei ist die Todesangst, vorbei ist die Nervosität, ab jetzt dreht sich alles mehr oder weniger nur mehr um den richtigen Blick. Bremspunkt, Apex, Kurvenausgang, Bremspunkt, Apex, Kurvenausgang. Der Rest funktioniert dann quasi von selbst.

Kurvendiskussionen auf vier Rädern.
Foto: Volkswagen

Quasi deshalb, weil eben in Kurve zwei – die langsamste in Portimao – der GTI TCR schon so schnell ist, dass du doch ein bisserl Platz vom Arbeitsspeicher für die Frage brauchst: "Komm ich da am Kurvenausgang überhaupt mit den Scheinwerfern nach vorne wieder raus?" Und da darfst du nicht lang hadern. In einem Sekundenbruchteil muss die richtige Entscheidung fallen. Und die lautet in dem Fall: "Gas geben", auch wenn ein kleines Lackerl am Sitz entsteht und du lieber bremsen würdest, nein, der linke Fuß bleibt, wo er ist, und der rechte drückt kontinuierlich immer stärker aufs Pedal.

Im Zweifel in Kurven einfach Gas geben, der Sperre huldigen und hoffen, dass nix schiefgeht.
Foto: Volkswagen

Wie von einem unsichtbaren Band gezogen, auf einer extrem sauberen Linie, fährt der GTI mit einem Affenzahn auf die kurze Zwischengerade. Möglich macht das die mechanische Differenzialsperre. Woher aber das Gefühl kommt, dass der GTI TCR beim Rausbeschleunigen aus der engen Kurve Druck auf die Hinterräder macht, ist mir schleierhaft. Aber genau so fühlt es sich an.

Beim Rausbeschleunigen hat man auf der Rennstrecke gar das Gefühl, dass sich der Wagen hinten richtig reinsetzt.
Foto: Volkswagen

Lange Zeit zum Nachdenken und Reinspüren hast du aber auf der Strecke in Portimao nicht. Mit 290 PS ist die Bergaufpassage recht kurz, bevor du zu dem Linksknick kommst, den du ruhig voll nehmen kannst. Wenn der Sitz bis jetzt noch nicht nass ist, wird wohl auch da nix passieren. Du musst schauen, dass du den Wagen dann gleich möglichst gerade hast beim Anbremsen. Und ja, natürlich willst du spät bremsen. Aber zu spät bremsen bringt dich auch in die Hölle. Entweder du suchst dir einen Notausgang geradeaus, oder du lenkst, noch ordentlich auf der Bremse, in die nächste Links ein. Da weißt du dann schnell, warum die Hinterräder so aussehen, wie sie aussehen.

Auf der normalen Straße, im Normalmodus, ist der GTI TCR ein normaler Golf. Nur mit viel mehr Leistung. Aber das macht ja nichts.
Foto: Volkswagen

Also den Blick kurz auf den Apex und denn gleich auf den Kurvenausgang. Und wieder Gas. Nicht winseln, Gas geben. Auch wenn sich beim Einlenken auf der Bremse der Gurt gestrafft hat, dass du meinst, dir bleibt die Luft weg. Du brauchst den Halt im Sitz jetzt eh. Und schon sind wir beim Anbremsen der Rechtskurve. Konzentration, nicht zu früh reinziehen, da ist der Scheitelpunkt spät.

Grau oder rot? Da streiten die Experten noch.
Foto: Volkswagen

Es bleibt dir in diesem Auto auf dieser Strecke keine Zeit zum Verschnaufen. Portimao ist gespickt mit Frechheiten. Kuppen, über die du voll stehen lassen musst, aber nicht siehst, was dahinter ist. Wenn du da einen Knopf im Hirn hast und dahinter die falsche Kurve vermutest, hilft dir auch kein ESP.

Kofferraum? Hat er. Wie jeder andere Golf auch.
Foto: Volkswagen

Das Schlimmste ist aber der Schluss, die Rechtspassage, über eine Kuppe kommend, dann bergab, immer noch rechts, rechts, rechts, nicht bremsen, immer ein wenig am Gas, noch mehr Gas, du spürst, wie das Heck gleich einen kleinen Rucker machen will, aber du bleibst am Gas, hängst im Sitz, versuchst nicht am Lenkrad zu klammern, probierst weit in die Zielgerade zu schauen. Und erst wenn du die Lenkung aufmachst, hast du ein, zwei Sekunden, bevor du dich auf die erste Kurve vorbereiten musst.

Das Cockpit des GTI TCR.
Foto: Volkswagen

Da beginnt der Horror nämlich schon. Wenn die erste Kurve nicht passt, hast in der zweiten den Scherm auf. Aber das ist es nicht, woran ich in dem Moment denke. Was mir durch den Kopf geht, als ich über die weißen Knöchel meiner Hände am Lenkrad und über die Ziellinie, die gleich unter mir durchfetzen wird, schaue, ist was ganz anderes. Ein Satz, den wohl jeder schon einmal gehört hat: "Hättest was Gescheites gelernt, dann bliebe dir das jetzt erspart." Und bevor ich mich darüber freuen kann, dass ich nichts Gescheites gelernt hab, steigt es wieder auf, das Gefühl, das irgendwo zwischen Respekt und Angst ist, kurz bevor der linke Fuß aufs Bremspedal knallt. (Guido Gluschitsch, 28.1.2019)