Wien – Leitende Materialien, vom Kabel bis zum elektronischen Bauteil, haben stets einen gewissen elektrischen Widerstand. Anfang des 20. Jahrhunderts machte allerdings der holländische Physiker Heike Kamerlingh Onnes eine Entdeckung, die Physiker und Materialforscher bis heute umtreibt: Bei Temperaturen nahe am absoluten Nullpunkt von minus 273,15 Grad Celsius verschwindet der elektrische Widerstand von Quecksilber völlig – gleiches gilt für eine Reihe weiterer Metalle. Die Idee vom Supraleiter war geboren.

Die Temperaturfrage

Ein Material zu finden, das sich auch bei Raumtemperatur als Supraleiter verhält, wäre ein wissenschaftlicher Durchbruch von herausragender Bedeutung. Neven Barišic vom Institut für Festkörperphysik an der TU Wien spricht vom "Heiligen Gral der Festkörperphysik". Seine Forschergruppe untersucht Materialen, die auch weit entfernt vom absoluten Nullpunkt noch supraleitend sind.

Solche Hochtemperatursupraleiter bestehen aus Kombinationen unterschiedlicher chemischer Elemente und weisen einen sehr komplexen Aufbau auf. Rekordhalter sind die sogenannten Cuprate, die bei normalem atmosphärischem Druck bis zu einer Temperatur von 140 Grad über dem absoluten Nullpunkt supraleitend bleiben. Das liegt zwar immer sehr weit unter Raumtemperatur, verringert den Aufwand für die notwendige Kühlung aber bereits enorm.

Cuprate

"Obwohl bereits seit Jahrzehnten intensiv nach einer schlüssigen Erklärung für die Hochtemperatursupraleitung gesucht wird, hat bisher noch niemand eine Lösung gefunden", sagt Barišic. Zusammen mit seinem Team hat der Physiker in den vergangenen 15 Jahren unzählige Experimente durchgeführt und Schritt für Schritt ein umfassendes phänomenologisches Bild der Supraleitung in Cupraten entwickelt.

Die Forscher konnten zeigen, dass es in Cupraten zwei fundamental unterschiedliche Arten von elektrischen Ladungsträgern gibt: Einerseits lokalisierte, die an ganz bestimmten Atomen sitzen, und andererseits mobile, die von einem Atom zu nächsten springen können. "Entscheidend für die Supraleitung ist das Wechselspiel zwischen den beiden Arten von Ladungsträgern", erklärt Barišic. "Die unbeweglichen Elektronen wirken dabei wie eine Art Klebstoff, der die beweglichen Elektronen zu Cooper-Paaren verbindet."

Damit dieses Wechselspiel effizient funktioniert, muss das Verhältnis zwischen lokalisierten und mobilen Ladungsträgern genau stimmen. Nur unter solchen optimalen Bedingungen kann die Supraleitung auch bei hohen Temperaturen erhalten bleiben. "Durch unsere Erkenntnisse weiß man jetzt besser, worauf man bei der Entwicklung neuer Materialien achten muss", sagt Barišic. "Und wir hoffen, dass das letztendlich zu Materialien führen wird, die auch bei Raumtemperatur noch supraleitend sind."

Noch ist es Zukunftsmusik

Die Entwicklung solcher Materialien wäre nicht nur eine ziemlich sichere Bank für eine Nobelpreisvergabe, sie würde auch unseren Alltag verändern: Anwendungen könnten von schwebenden Hochgeschwindigkeitszügen bis zu neuen bildgebenden Verfahren reichen und würden eine technologische Revolution bedeuten. (APA, red, 29. 1. 2019)