Acht Jahre hatte er gelernt, gebüffelt, sich gequält. Gekämpft gegen die Mathematik und gegen "Gott Kupfer", den berüchtigten Mathematiklehrer. Nur einen Tag musste er noch überstehen, den entscheidenden, den alles entscheidenden. Den Tag der Reifeprüfung. Für Kurt Gerber aus Friedrich Torbergs "Der Schüler Gerber" wurde es der letzte. Die Matura geriet zur Prüfung, die buchstäblich über Leben und Tod entschied. Aber ist es wirklich der entscheidende Moment? Entscheidend wofür? Für das Leben? Für den sozialen Status? Für die Bildungsstatistik?
Tatsächlich wird die Matura – auch im seit 2015 modernisierten Gewand der "Standardisierten kompetenzorientierten Reifeprüfung" alias Zentralmatura – bis heute zum Popanz stilisiert. Es waren die Ergebnisse der Mathematikmatura (auch Kurt Gerbers Angstfach), die den Bildungsminister veranlassten, einen Notfallkoffer zu packen, auf dass es beim nächsten Mal besser laufen möge. Weniger und verständlichere Texte, halbe Punkte für halb richtige Antworten und zur Beruhigung die Anwesenheit der vertrauten Lehrperson sollen zu einer "Verbesserung der Zentralmatura" führen. Das ist schön und sicher gutgemeint.
Symptomträgerin
Es bleiben aber Fragen: Was ist das eigentliche Ziel? Wie viele oder wenige Fünfer in Mathematik sind gesellschaftlich opportun in einem Land, in dem es fast zum guten Ton gehört, sich als Mathe-Null zu outen? Was heißt es, wenn von 22,5 Prozent schriftlichen Fünfern nach der mündlichen "Kompensationsprüfung" auf fast wundersame Weise doch nur 7,1 Prozent der Maturanten offenbar wirklich nicht das Minimum können? Hat das Ganze vielleicht auch mit dem Unterricht zu tun? Wozu überhaupt Matura? Als symbolischer Übergangsritus? Für viele Fächer ist sie ohnehin schon lange keine Studienberechtigung mehr.
Die Zentralmatura ist dafür bloß eine Symptomträgerin. Das Feuer, das da brennt, wird schon viel früher und auch an anderen Stellen im Schulsystem gelegt.
Kurt Gerber ist übrigens ein gutes schlechtes Beispiel für einen tragisch überreizten Umgang mit Schule insgesamt: Just am "Tag der Reife" stürzt er sich aus dem Fenster. "Ab durch die Mitte." Dabei hatte er bestanden. Vielleicht ist das eine besonders wichtige Lektion, die in Zeiten der Bildungspanik allen ganz gut tun würde. Im Leben gibt es ganz andere Probleme und Tragödien zu bewältigen als eine nichtbestandene Prüfung. Auch Torberg fiel übrigens beim ersten Mal durch. Beim zweiten Versuch war er dann "reif". (Lisa Nimmervoll, 28.1.2019)