Skirennfahrer Franz Klammer 1975 in Aktion.

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Die Ära Kreisky war nicht nur äußerst genussreich; sie legte den Grundstein für den heutigen Fitnesswahn. Einmal im Jahr wurden selbst unbelehrbare Mehlspeistiger aus ihren Gehegen gelockt und durch Ausübung von Sozialdruck zur Teilnahme an Fitwandertagen verdonnert. Teilnehmer an einer solchen Massenbelustigung wurden mit einer Urkunde für die erlittene Fettverbrennung entschädigt.

Ich, ein kleiner, kugelrunder Babyboomer, entsinne mich noch des mitleidigen Kopfschüttelns meiner Eltern. Die standen zu ihren Jahresringen. Immerhin hatten sie diese durch den geduldigen Verzehr von Riesenportionen ehrlich erworben. Noch ahnte niemand, dass der liebe Gott vor das mehrgängige Menü das Mehrgangrad gesetzt hat. Alle Aktivitäten, die im weitesten Sinn als sportlich galten, wurden bei uns zu Hause aus dem Schoß der Kleinfamilie ausgelagert (mit Ausnahme von Krapfenwettessen o. Ä.).

Bier am Sportplatz

Als zuständig für meine Fitness galt der fröhliche Neffe unserer 70-jährigen Nachbarin, der Herr Zirngast. Dieser bärig gut gelaunte Mann proletarischen Geblüts verfügte aufgrund einer nebulösen Frühpensionierung nicht nur über einen wohlgetrimmten Bart, sondern über ausreichend Tagesfreizeit, um mich in die Anfangsgründe des Sports einzuweisen.

Herr Zirngast nahm mich das erste Mal mit auf den Rapid-Platz, die berüchtigte Hütteldorfer Pfarrwiese. Ich bemerkte, dass des Mannes Interesse vor allem der gewissenhaften Leerung unzähliger Bierbecher galt. Ich wurde derweil mit Kracherln abgefunden.

"Franz!"

Meine Mutter, die Zirngasts gutgemeinten Aktivismus schätzte, aber seine Ausdünstungen missbilligte, nahm das Heft wieder in die Hand. Sie begleitete mich in einen Judo-Kurs. Dort erlitt mein Drang nach sportlicher Betätigung einen empfindlichen Rückschlag. Bei meinem ersten Turnier landete ich, unsanft ergriffen, nach eineinhalb Sekunden rücklings auf der Matte. Ich weinte ob der Schmach wie ein Schlosshund.

Das Kulturklima der Ära Kreisky war generell von großer Empfindsamkeit. Als Franz Klammer 1976 live auf dem Patscherkofel zu Olympia-Gold raste, erhoben sich Klavierlehrerinnen von ihrem Sessel und flüsterten leise, zitternd vor Erregung: "Franz!" (Ronald Pohl, 30.1.2019)