Wien – Ohne Führerschein, dafür mit mehreren Gläsern Bier und Kokain im Blut Autozufahren ist per se keine sehr gute Idee. Es in einer Großstadt mit bis zu 140 Kilometern pro Stunde zu machen und auch durch eine Fußgängerzone zu rasen erst recht nicht. Mustafa K. hat das in der Nacht des 6. April getan, weshalb er wegen vorsätzlicher Gemeingefährdung vor einem Schöffengericht unter Vorsitz von Erika Pasching ist.

"Natürlich hat er einen Fehler gemacht, er schämt sich auch dafür", leitet Verteidiger Bernhard Brehm sein Eröffnungsplädoyer ein. Die von Staatsanwältin Viktoria Berente vertretene Anklage lehnt er aber ab. Denn bei der Fahrt durch die Fußgängerzone in Wien-Leopoldstadt seien nie und nimmer mindestens zehn Personen in konkreter Lebensgefahr gewesen, argumentiert der Anwalt. Der Tatbestand sei damit nicht erfüllt, es handle sich nur um schwere Nötigung, ist Brehm überzeugt. "Manchmal macht man schwere Fehler, aber lassen wir die Kirche im Dorf", appelliert er.

Die Vorsitzende korrigiert ihn, bevor sie mit der Befragung des Angeklagten beginnt. "Es reicht eine Gefahr für Leib und Leben, es muss keine konkrete Lebensgefahr sein", stellt Pasching klar.

Autofahren "im Blut"

Dann beginnt sie beim Grundsätzlichen. "Haben Sie einen Führerschein?", fragt sie den Angeklagten. "Nein", lautet die Antwort. "Haben Sie je einen gemacht?" – "Nein." – "Woher können Sie Autofahren?" – "Ich habe es irgendwie im Blut gehabt. Mein Vater hat mich in unserem Dorf in der Türkei fahren lassen", erläutert der unbescholtene Arbeiter.

Auch am Tattag war er mit dem Gefährt seines Erzeugers unterwegs, um seiner Lebensgefährtin Dokumente zu bringen. Ein Streit enervierte ihn: "Sie hat gesagt, meine Mutter ist ein Idiot", erinnert K. sich. Wie bereits Wilhelm Busch wusste, gibt es ein Junktim von Sorgen und Alkohol, im Fall des Angeklagten war es kein Likör, sondern Bier.

Zwei trank er alleine, sagt er, ein drittes mit einem Freund. Dann zeigte er sogar etwas wie Verantwortungsbewusstsein: "Ich habe gesagt, wir sollten uns ein Hotelzimmer nehmen, da ich getrunken hatte." Der Plan wurde umgesetzt, in der Unterkunft dann noch Kokain konsumiert. Offenbar steigerte der Benzoylecgoninmethylester den Aktivitätsdrang, der Freund wollte dann plötzlich zum Pokerspielen.

Weinerlicher Angeklagter

Man fuhr im 7. Bezirk weg, dann wurde K. als Ortsfremdem die Fußgängerzone in der Mariahilfer Straße zum Verhängnis: Eine Polizeistreife versuchte sie zu kontrollieren. "Ich habe schreckliche Angst bekommen", schluchzt der Angeklagte und begründet damit, warum er nicht auf die Bremse, sondern auf das Gaspedal trat. "Ich habe nicht nachgedacht." – "Ich verstehe nicht ganz, warum Sie weinen. Egal wie das heute ausgeht, Sie hatten Riesenglück, es ist niemandem etwas passiert", reagiert Pasching kühl.

Mit 60 bis 80 km/h führte die Verfolgungsjagd zunächst durch die Gassen der Josefstadt, auf breiteren Straßen steigerte sich die Geschwindigkeit dann auf über 100 km/h. Auf der Reichsbrücke, wo die Polizei die Verfolgung wegen des unkalkulierbaren Risikos für Unbeteiligte abbrach, wurde K. mit 140 km/h vom Radar geblitzt. Rote Ampeln ignorierte der bald zweifache Vater ebenso wie eine Fußgängerzone in der Heinestraße. Laut Beifahrer trank er sogar während der Fahrt noch ein Bier, der Angeklagte kann sich daran nicht mehr erinnern.

Wissenslücken bei der Theorie

Interessanterweise ist K. offenbar noch heute der Meinung, er habe das Fahrzeug bei seiner "Aktionsfahrt", wie er es nennt, unter Kontrolle gehabt. "Ich bin immer auf Sicht gefahren", sagt er beispielsweise. Oder: "Ich war immer auf der Bremse." Eine Nachfrage von Beisitzerin Sylvia Primer zeigt dann doch Defizite beim theoretischen Wissen: "Wie weit ist Ihrer Meinung nach der Bremsweg bei 100 km/h?", will Primer wissen. "Fünf bis sechs Sekunden?" – "Wie viele Meter?" – "30", schätzt der Angeklagte. Tatsächlich beträgt er selbst bei einer Gefahrenbremsung 50 Meter, der Anhalteweg sogar 80 Meter.

K. wird anklagekonform nicht rechtskräftig verurteilt und erhält die Mindeststrafe von einem Jahr bedingt sowie 4.320 Euro unbedingte Geldstrafe. (Michael Möseneder, 30.1.2019)