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Die Frage, ob der Münchner Radikalkomiker Karl Valentin (1882–1948) sich selbst als Volkssänger empfunden hat, ist schwer zu beantworten. Am frühen Lebensabend war Valentin in seiner bayerischen Heimat jedenfalls so gut wie vergessen. Im Radio nach seinem Künstlerethos befragt, antwortete der lange, grotesk dünne Mann: "Ich wollte Frauenarzt werden, ich wollte viel sehen von der Welt."

Die in München ansässige Narrengilde Narrhalla verleiht den Karl-Valentin-Orden seit 1973. Zuerkannt bekommen haben das Edelmetall bisher so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Senta Berger, Heino oder Kardinal Ratzinger (Papst Benedikt XVI.). Die Genannten eint, dass sie in der Vergangenheit vielleicht auf den einen oder anderen absurd gewirkt haben mögen. Volkssänger wird man sie nicht nennen mögen.

Wenigstens der heiteren Zunft zuzurechnen sind die Ordensträger Loriot, Hape Kerkeling oder Michael Herbig. Am ehesten lässt sich Heino, bebrillter Pflücker der schwarzbraunen Haselnuss, mit dem steirischen Volks-Rock-'n'-Roller Andreas Gabalier vergleichen.

Magenbeschwerden

Der Aufschrei vieler Valentin-Experten angesichts der samstägigen Ordensverleihung an Gabalier kommt nicht aus dem Nichts. Gunter Fette, Nachlassverwalter der Münchner Komikerfamilie, spricht Klartext: "Es ist nicht hinzunehmen, dass Gabalier mit seinem offenkundigen Spiel mit faschistischen Symbolen, seiner Frauenfeindlichkeit und seiner Homophobie mit dem Namen Karl Valentin in Verbindung gebracht wird." Sabine Rinberger, Chefin des Valentin-Musäums im Isar-Tor, ließ wissen, dass ihr die auf Gabalier gefallene Wahl Beschwerden des Magens wie des Herzens bereite.

Gabalier hat die überaus harsche Kritik jetzt gegenüber der Bild-Zeitung gekontert: "Ich bin wohl einigen zu bodenständig, aber das werde ich ganz sicher nicht für diese Leute ändern. Von ein paar Neidern lasse ich mir meine Erfolgsgeschichte nicht kaputtreden."

Darüber hinaus aber wirft der Zirbenholz-Barde, den jüngst Vizekanzler H.-C. Strache vehement verteidigte, noch einen Seitenblick auf unser Land: "Man muss mich wirklich nicht mögen, aber ich würde mir von einigen Leuten etwas mehr Wertschätzung wünschen. Gegenseitiger Respekt geht in unserer Gesellschaft immer mehr den Bach runter."

Sinn für enge Hosen

Was Gabalier mit einem wie dem Valentin gemein haben könnte, ist tatsächlich mit freiem Auge nicht auszumachen. An beider Vorliebe für eng genähte Hosen kann es nicht liegen. Valentin machte sich um die Erfindung so segensreicher Gegenstände wie des "elektrischen Nasenbohrers" oder der"Brille für Schwerhörige" (ohne Glas!) verdient.

Valentin beutelte und quetschte die Sprache in seinen Spielszenen so lange, bis von ihr nichts als der Widersinn übrig blieb. Er vermochte obendrein seine langen Gliedmaßen derart kunstvoll ineinanderzustecken, dass man es als Zuschauer mit der Angst bekam.

Karl Valentin liebte vielleicht die (Münchner) Tradition. Die Welt, aufgefasst als Schauplatz für armselige menschliche Verstrickungen, lehnte er im Allgemeinen ab. Dafür wussten ihm, dem Dadaisten und Absurden wider Willen, modernistische Jahrhundertkünstler wie Brecht oder Beckett innigen Dank.

Unkritisch mit Tradition

Auch Gabaliers Bekennertum betont den Wert der Tradition. Sein Umgang mit ihr ist jedoch vollkommen unkritisch. Bei ihm ersetzt das Zeltfest das echte Hochgefühl. Die Plätze des Kruzifixes und des Mannes in der Gesellschaft bleiben unverrückbar fest. Andreas Gabalier schwärmt von Verhältnissen, in denen die Ungerechtigkeiten, weil sie "naturwüchsig" sind, ein für alle Mal zementiert bleiben. Karl Valentin, der Anarchist, bohrte hingegen Löcher in die Wirklichkeit. Er traute ihr – und sich selbst – nicht über den Weg.

Das Präsidium der Narrhalla schrieb dem Standard: "Gabalier, der selbst textet und komponiert, versteht es wie kein Anderer, volkstümliche Musik mit Stadionrock zu verbinden."

Und: "Texte von Künstlern sind vielseitig auslegbar und werden offensichtlich (...) je nach Neigung unterschiedlich wahrgenommen. Die Narrhalla München macht sich als gemeinnütziger Verein weder rechtspopulistische, homophobe sowie frauen- und fremdenfeindliche Texte zu eigen. Wir stehen für eine bunte, tolerante und soziale Stadtgesellschaft." Das wird Gabalier auf dem Land draußen freuen. Von Karl Valentins notorischer Widersetzlichkeit ist 70 Jahre nach seinem Tod zumindest in München nichts zu spüren. (Ronald Pohl, 31.1.2019)

Karl Valentin im Zitat

"Die Zukunft war früher auch besser."

"Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative und eine komische."

"Der Mensch is guad, de Leit' san schlecht!"

"Als ich das Licht der Welt und sodann die Hebamme erblickte, war ich sprachlos. Ich hatte diese Frau ja noch nie in meinem Leben gesehen."

"Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit."

"Gut, dass Hitler nicht Kräuter heißt, sonst müsste man ihn mit Heil Kräuter grüßen."

"Mögen hätt ich schon wollen, aber dürfen hab ich mich nicht getraut."

"Zwei Knaben stiegen auf einen Baum / sie wollten Äpfel runterhaun / am Gipfel drobn wurd's ihnen klar / dass das a Fahnenstange war."

"Ich bin kein direkter Rüpel, aber die Brennnessel unter den Liebesblumen."

"Nenn mich nicht Walentin, du nennst ja auch nicht deinen Vater Water."

"Fremd ist der Fremde nur in der Fremde."

Andreas Gabalier im Zitat

"Wie kan I glaub an mei Land und die ewige Liab / Nix is mehr Daham als ein Schnitzel aus der Pfann / Tradition leben, mit der Zeit gehen / So wie's früher in der Milka-Tender-Werbung war / I glaub an Leut, die sich geben wie sie sind / In einem christlichen Land hängt ein Kreuz an der Wand ... I glaub an den Petrus an der Himmelstür / Der sagt, komm her zu mir, Bua i muss reden mit dir / Vaterunser beten, Holzscheitelknien / Nach einem Zeltfest im Rausch am Heuboden die Unschuld riskieren ... " ("Kleine heile steile Welt")

"Wie kann des sein / Dass a poar Leut / Glauben zu wissen / Wos a Land so wü / Is des der Sinn einer Demokratie / Dass ana wos sogt und die andern san stü? A Meinung ham, dahinter stehn / Den Weg vom Anfang zu Ende gehn / Wenns sei muass ganz allan / Da oben stehn / A Meinung ham / Dahinter stehn." ("A Meinung haben")

"I hea di heit sogn / Olles is von obn glenkt / Und auf meine oitn Tog / Is jeda a Geschenk / So laung da Herrgott wü / Sitz i unta unsan bam / Denn am olla olla schenstn is daham / Vagiss die Heimat nie ..." ("Vagiss die Heimat nie")