Ein Bild ist für Christian Ludwig Attersee fertig, wenn sich das Gesamtkörperglücksgefühl einstellt. Was das ist? "Eine Erregtheit, die Befriedigung bringt, ohne ein sexuelles Erlebnis, also ohne abzuspritzen, wenn ich so reden darf."

Foto: Heribert Corn

Christian Ludwig Attersee wollte immer in Österreich bleiben. Wolle man wirklich Geld verdienen, müsse man als "Kasperl nach Paris oder New York gehen". Probiert hätte er es zwar schon, aber in den 1960ern regierte in den USA noch der abstrakte Expressionismus. Und so ist Attersee einer von Österreichs bekanntesten Malern geworden – wie er es geplant hatte: dreimal Staatsmeister im Segeln, dann in Wien berühmter Künstler werden.

Im Umkreis der Wiener Aktionisten war der Androgyne, "der schöne Attersee", dem die Frauen nachliefen und der, bitterarm, jede Nacht ein anderes Schlafplätzchen nicht suchte, sondern fand. Er inszenierte sich nackt und feminin als "Mann-Frau", machte Musik, schrieb Poesie, gestaltete Bühnenbilder.

Er galt als österreichischer Vertreter der Pop-Art, malte sich ein Steak, wenn er hungrig war, und kreierte als "Erfinder des Humors in der Malerei" Produkte wie Attersteck und Speisegkugeln. Er erotisierte Dinge und Essen und verwandelte Frauen und sich selbst in lukullische Häppchen.

Dass "Frauen lieben" nicht reicht, um Kritik an gepinselten Nackedeien auf Skiplakaten abzuschmettern, durfte Attersee jüngst erleben. Die verpuffte Aufregung um ÖSV-Plakate sieht der Künstler mittlerweile als PR für seine Ausstellung im Belvedere 21 (Attersee. Feuerstelle: 1. Februar bis 18. August). Die packt ein Jahr vor Attersees Achtziger dessen Frühwerk aus, lädt Nitsch, Rühm und Co zur Matinee und führt beispielsweise Attersees Prinzip vor, Schönes noch schöner zu machen.

STANDARD: Fällt der Name Attersee, fällt recht unmittelbar auch das Wort "Atterseewurst". Kein anderer Künstler wird so sehr mit Konsumprodukten verknüpft wie Sie. Von wem stammt eigentlich das Rezept für die berühmte Wurst?

Attersee: Das erste Rezept ist von mir. Ich willigste zunächst nur unter dieser Bedingung ein, aber meine Rezeptur – mit Trüffeln – war, obgleich wunderbar, zu teuer.

Lustiges Suppenlöffeln mit Christian Ludwig Attersee und seinen bunten "Speisekugeln" (1966).
Foto: Hanni Rühm-Klewan

STANDARD: Wie kam es überhaupt zu diesem Wurst-Joint-Venture?

Attersee: Ich heiße Attersee. Dort steht die Wurstfabrik. Der Inhaber ist auch Segler. So entsteht das.

STANDARD: Wird Kunst nicht beliebig, wenn sie eine so starke Warenästhetik annimmt?

Attersee: Jeder Konsument entscheidet, ob das Kunst ist oder nicht. Ich behaupte, es ist Kunst. Jemand anderer sagt, ist es nicht. Für sich selbst hat er vielleicht recht. Kunst ist die wichtigste Sprache unter den Menschen, wieso soll nicht eine Wurst genauso für Kunst werben können wie ein Weinetikett, eine Briefmarke oder ein Altarbild? Vom Butterbrot mit Attersee-Margarine zum schönsten Altarbild verläuft eine gerade Linie. Das soll die Ausstellung, die erstmals angewandte Stücke integriert, beweisen.

STANDARD: Ein besonders rares Stück ist auch zu sehen. 1967 sorgten Tierschützer vor der Galerie im Griechenbeisl für Tumulte, weil auf dem Plakat stand, sie würden jeden Freitag einen Dackel auf die doppelte Größe aufblasen. Was freilich nicht geschah. Allerdings entging den Menschen der eigentliche Skandal: Es hing ein Stück Menschenfleisch in der Schau. Worum ging es Ihnen mit diesem in Polyester eingegossenen Stück "Zierfleisch" eigentlich?

Attersee: Es war für mich wichtig, dass der Mensch sich selbst einmal an der Wand hängen sieht, als ein Stück Fleisch.

STANDARD: Das erinnert an Reliquienkult. Ist das religiös gemeint?

Attersee: Nein, das ist ein Stück Fleisch. Man sollte sehen, was ein Mensch wert oder nicht wert ist. Man sieht sich sonst nur im Spiegel, und da hat man immer irgendeine Form. Aber dieses Fleisch war enthäutet, also das, woraus wir wirklich bestehen. Niemandem fiel das auf, weil alle auf den Hund gewartet haben. Das war für mich eine Enttäuschung.

Könnte man als aufgeblasenen Hund interpretieren: Christian Ludwig Attersees "Hundepelzhocker" (1968).
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Hat sich ein Sammler dafür interessiert?

Attersee: Ich hätte es nie hergegeben. Es ist eine einmalige Idee, die nicht wiederholbar ist. Andere Künstler hätten natürlich Auflagenfleisch gemacht.

STANDARD: Sie haben andere Fleischauflagen gemacht ...

Attersee: Nicht mit Menschenfleisch! So viel Achtung habe ich.

STANDARD: Was unterscheiden solche Provokationen von jenen der Wiener Aktionisten?

Attersee: Ich wollte nie die Kunstgeschichte töten und die Malerei beenden. Die Aggression, Zerstörung und Gesellschaftskritik der Wiener Aktionisten, die auch meine Freunde waren, war nicht meine. Meine Gesellschaftskritik zielte in eine gegenteilige Richtung. Da habe ich in den 60ern eine sehr einzelgängerische Leistung verbrochen: Ich habe den Begriff Schönheit untersucht – in hunderten Facetten. Den modischen Aspekt etwa mit Schamhaarlockenwicklern, Würfelbüstenhaltern und Zierbuckeln.

Christian Ludwig Attersees Idee für Schamhaarlockenwickler trägt den schönen Titel "Schampferde Schönheit" (1968).
Sammlung Klewan, © Bildrecht, Wien, 2019

STANDARD: Es ging aber auch um versehrte, verkrüppelte Körper ...

Attersee: Ich bin mit dem Bild von Männern, die ohne Hände und Füße aus dem Krieg zurückkehrten, aufgewachsen. Ich habe viele Tote gesehen. Das Unterbewusste darf man nicht vergessen. Die Idee meiner Buchstabenprothesen ist für mich daher ein Aspekt am Rand der Mode. Mannequins mit nur einem Bein habe ich viel erotischer empfunden. Aber reden wir doch vom Essen ...

STANDARD: Moment! In welchem Verhältnis stand der "schöne Christian Ludwig Attersee zu dieser Erweiterung des Schönheitsbegriffs?

Attersee: Natürlich habe ich meine eigene Schönheit auch eingesetzt. Aber sprechen wir über die Verletzung – das Grundprinzip der Frau und der Mode. Die Ohren und die Nasen werden zerstochen, heute hängen Piercings versteckt in der Unterhose. Mich interessierte, warum verletzten sich Menschen, um schöner zu werden? Verletzung ist ein Teil von Schönheit. Die Prothese ist bei mir ein Ziergegenstand, der die Frau zum Kunstwerk macht. Sie wird atterseeisiert. Kommen wir jetzt endlich zum Thema Essen?

STANDARD: Verraten Sie mir vorher noch, wie Sie "atterseeisieren"!

Attersee: Ganz einfach: Sie sitzen an einem Tisch, ich an einer Tischin. "Atterseeisieren" heißt erotisieren. Erotik ist für mich die höchste Form menschlicher Verständigung. Ich könnte auch sagen, die Kunst ist es, aber das ist für mich fast dasselbe. Das Sexualisieren von Gegenständen gehört dazu. Blumen sind für die meisten von Natur aus schön. Ich sage aber, sie sind erst schön, wenn sie ein Attersee-Schweinchen oben reingesteckt bekommen. Verletzung macht sie schöner.

STANDARD: Sie sagen: "Der weibliche Körper war – so wie der männliche – immer ein Objekt." Für Sie ist es also kein Problem, wenn der Mensch zum Objekt wird?

Attersee: Ich lag in meiner Jugend jeden Tag acht Stunden auf den Jollen, um europäischer Spitzenstar im Segeln zu werden. Ich bin öfter auf Schiffen gelegen als auf Frauen. Ein Boot ist wie ein Mensch. Wenn man nur zwei Zentimeter anders auf dem Boot sitzt, lässt es sich leichter oder schwerer steuern. Man wird zu einem Körper mit den Jollen: Liegt auf seinem Glied, umarmt das Boot, liebt es, weil man damit siegt, gibt ihm einen weiblichen Namen. Ich weiß, dass Mensch und Objekt auseinandergehören, aber im körperlichen Erlebnisbereich gibt es für mich einen Zusammenhang.

Als Mensch und Segelboot zugleich: Christian Ludwig Attersee ("Der Segelstab Nr. 5", 1972).
Foto: Atelier/ Archiv Attersee, Wien, © Bildrecht, Wien, 2019

STANDARD: Beim Wort Objekt schwingt aber eine Benützbarkeit mit, die für Körper nicht gelten soll.

Attersee: Ich weiß, das ist heute ein Problem. Aber ich kann nicht abstreiten, dass Menschen, wenn sie sich lieben, einander auch gegenseitig benützen.

STANDARD: Benützen kann man auch ihr Objekt Vagina. Man kann dort eine Entjungferung simulieren. Feministisch ist das vermutlich nicht gemeint?

Attersee: Es geht um die Zehntelsekunde der Defloration.

STANDARD: Sie ehren also die Kostbarkeit des Moments?

Attersee: Und der Aktion. Es definiert diesen für eine Frau einmaligen Moment in sehr positiver Weise. Es ist ein Deflorationsobjekt, kein Lustobjekt. (Anne Katrin Feßler, 31.1.2019)