Der Michelberg bei Haselbach in der Gemeinde Niederhollabrunn, unweit der Stadt Stockerau in Niederösterreich, ist in der Archäologie kein Unbekannter. Aus historischen Quellen sind Kichenbauten des 14. bis 18. Jahrhundert bekannt, und Thomas Ebendorfer (1388–1464), bedeutender Theologe und Geschichtsschreiber seiner Zeit, behandelte in seinen Schriften die Geschichte seiner Heimatgemeinde Haselbach und des nahe gelegenen Michelbergs. Soweit bekannt, handelte es sich bei den Kirchen am Michelberg um Filialkirchen der Pfarre Niederhollabrunn.

Michelberg bei Haselbach, 2011: Überblick über das Grabungsareal und die das Plateau umgebende frühbronzezeitliche Wallanlage. Die Kapelle wurde im 19. Jahrhundert errichtet.
Foto: land niederösterreich

Lückenhafte Geschichte

Archäologische Grabungen in den Jahren 2010 bis 2013 unter der Projektleitung des damaligen niederösterreichischen Landesarchäologen Ernst Lauermann sollten mehr Klarheit in die lückenhafte historische Überlieferung der Kirchenbauten bringen. Schon der Beginn der Nutzung als Kirchenstandort war unklar. Ebendorfer berichtete von einer spätantiken Pfarrkirche, die von Attila im 5. Jahrhundert zerstört worden sein soll und etwa um 740 in Niederhollabrunn wiedererrichtet wurde. Vereinzelte archäologische Funde vorangegangener Grabungen verweisen jedoch auf das 9./10. Jahrhundert.

Die Ausgrabungen erbrachten leider keinen direkten und eindeutigen Nachweis einer Kirche aus jenen Zeiten, doch könnten aufgefundene Gräber aus dem 10. Jahrhundert einen indirekten Hinweis auf einen Sakralbau in unmittelbarer Nähe geben. Einfache Holzkirchen, die in ihrem Grundriss an Profanbauten erinnern, sind aus dieser Zeit bekannt, und es liegt die Vermutung nahe, dass neben dem Friedhof eine ebensolche Kirche bestanden hat, deren Grundriss jedoch durch die nachfolgenden Bauten bis zur Unkenntlichkeit zerstört wurde.

Michelberg bei Haselbach, 2012: Überblick über die Grabungsfläche. Die kreisrunden Strukturen stammen von Peilanlagen aus dem Zweiten Weltkrieg.
Foto: Land Niederösterreich

Dieser frühen Phase lassen sich auch die meisten Bestattungen zuordnen, die, wie auch C14-Daten bestätigen, im Zeitraum vom 10. Jahrhundert bis zum Bau der ersten Steinkirche im 13. Jahrhundert angelegt wurden. Bemerkenswert sind vier Kinderbestattungen, die noch Reste einer hölzernen Grababdeckung aufwiesen – aufgrund der vorherrschenden Bodenbedingungen ein durchaus überraschender Befund.

Um- und Einbauten

Im 13. Jahrhundert wurde eine Kirche im romanischen Stil, eine sogenannte Chorquadratkirche, mit einem Kirchturm im Westen errichtet, wie sich archäologisch nachweisen lässt. Aus der Zeit der Erbauung dieser Kirche lassen sich nur wenige Zeugnisse finden, etwa eine Grube zur Herstellung von Kalkmörtel, und auch Schriftquellen zu diesem Kirchenbau existieren nicht. In spätmittelalterlicher Zeit wurden offenbar verschiedene Um- und Einbauten vorgenommen, wie der Grabungsbefund belegt, während die historischen Quellen nur wenige vage, teils widersprüchliche Angaben zum Michelberg und seiner Kirche zu dieser Zeit geben. Spätestens um 1500 wurde jedoch ein neuer, größerer Kirchturm gegen die Südseite des Langhauses gebaut.

Die Kirche um 1670, von links: Westanbau, Südturm, Seitenschiff, Chor, hinten das Langhaus.
Foto: Georg Matthäus Vischer, Topographia Archiducatus Austriae Inferi (1672).

In den Wirren der Reformationszeit versiegen die Schriftquellen zunächst vollständig, während ab dem Jahr 1617 zahlreiche Kirchenrechnungen von Umbauten und Renovierungsarbeiten zeugen. Archäologisch ist eine Umbauphase belegt, die den Charakter der Kirche wohl deutlich veränderte und schon vor der ersten frühneuzeitlichen Rechnungslegung in das späte 16. oder in das sehr frühe 17. Jahrhundert datieren könnte.

Im Zuge dieser Umbaumaßnahmen wurden der Chor und das Langhaus maßgeblich umgestaltet und der Kirchenraum durch den Anbau eines südlichen Seitenschiffs erweitert. Auch ein kleiner Anbau im Westen des Langhauses wurde errichtet. Der Grabungsbefund bestätigte teilweise die in Rechnungen genannten Renovierungs- und Umbaumaßnahmen aus den Jahren 1617 bis 1694. Rechnungen geben auch Auskunft über die Errichtung eines Marienaltars in den Jahren 1669 bis 1670, der in weiterer Folge das Schicksal der Kirche maßgeblich beeinflussen sollte. Durch historische Quellen ist zu dieser Zeit auch die Anwesenheit eines "Einsiedlers" oder Mesners belegt, der mit seiner Frau in einer der Kirche angeschlossenen Wohnung gelebt haben dürfte.

Das Wunder vom Michelberg

Am 30. März 1704 geschah nun etwas höchst Merkwürdiges: Ein Bildnis der Verkündigung Mariens neben dem "Seithen Frauen Altar" (dem Marienaltar) begann aus unerklärlichen Gründen zu schwitzen – ein Wunder! Dieses Phänomen konnte in den darauffolgenden Tagen immer wieder von unterschiedlichen Zeugen beobachtet werden, wodurch sich sogleich ein reger Zustrom von Gläubigen einstellte, die den Opferstock bereitwillig bedienten. Bereits kurz darauf wurde eine Kommission des zuständigen bischöflich-passauischen Konsistoriums in Wien zum Michelberg entsandt, um die Sachlage zu prüfen und die Zeugen zu befragen. Wohl nicht restlos vom Wunder überzeugt, riet die Kommission, die Verehrung zwar nicht zu unterbinden, jedoch auch nicht zu fördern.

In den folgenden Monaten etablierte sich ein Wallfahrtsbetrieb mit Prozessionen und so großen Menschenmassen, dass die Pfarradministration um Unterstützung bat. Die Seelsorge konnte nicht mehr gewährleistet werden, und Gläubige mussten ohne Empfang der Sakramente und ohne Beichte weggeschickt werden. Zudem tummelten sich unkontrolliert allerlei Bettler, Devotionalienhändler und Verkäufer von Wein und Speisen am Michelberg – aus kirchlicher Sicht eine untragbare Entwicklung.

So veranlasste das Passauer Offizialat die Überführung des Marienbilds in die Pfarrkirche von Niederhollabrunn und die Einstellung des Wallfahrtsbetriebs. Dies konnten sich die Haselbacher, sicherlich auch besorgt um ihre sprudelnden Einnahmen, natürlich nicht bieten lassen und holten nur wenige Tage später das Bild mit Gewalt wieder zurück auf den Michelberg. Das konnte sich das Passauer Konsistorium wiederum nicht bieten lassen, drohte mit Exkommunikation und bestellte alle Konfliktparteien nach Wien ein. Schließlich einigte man sich darauf, das Bild in der Filialkirche am Michelberg zu belassen, entzog es aber der Verehrung und ließ es sicher versperren.

Eine neue Pilgerkirche

Die Kirche am Michelberg florierte wirtschaftlich auch weiterhin, und so war bald der finanzielle Grundstein für eine komplette Neugestaltung gelegt. Zwischen 1745 und 1748 wurde die alte Kirche geschleift und eine neue, barocke Pilgerkirche errichtet, in die teilweise ältere Gebäudestrukturen integriert wurden. Das Gebäude war größer als viele Pfarrkirchen jener Zeit. Der Chor mit Rundapsis wurde durch eine Sakristei und vielleicht auch ein Heiliges Grab flankiert. Im geräumigen Langhaus war auch eine Orgelempore, die durch zwei Wendeltreppen erschlossen wurde. An der Südseite war ein Glockenturm und im Südwesten das Haus des Mesners, in dem sich ein großer Backofen befand.

Diese Kirche bestand jedoch keine vierzig Jahre. Im Zuge der Reformen von Kaiser Joseph II. wurde sie 1783 geschlossen und schließlich in den Jahren 1785/86 unter Zuhilfenahme von Sprengstoff abgebrochen. Charakteristische Schuttschichten liefern dazu auch archäologische Belege. Auf Bitten der Haselbacher Bevölkerung und nach Klärung der kirchenrechtlichen Belange bekam der Ort Haselbach 1785 die Genehmigung für eine eigene Pfarrkirche, die schließlich 1788 eröffnet wurde. Hochaltar, Kanzel und das Marienbild wurden in die neue Kirche überstellt und sind heute noch dort zu bestaunen. Zwei Jahre später wurde auch der Friedhof geweiht, zuvor mussten Haselbacher Bürger in Niederhollabrunn beerdigt werden.

Die Kirche am Michelberg von Südosten. Dargestellt um 1300, um 1500, um 1700 und um 1750.
Grafik: 7Reasons

Außergewöhnliche Bestattete

Auch bezüglich des Bestattungswesens lieferten die Grabungen am Michelberg Überraschendes. Bei den archäologischen Untersuchungen wurden unerwartet viele Bestattungen in der Nähe der Mauerreste entdeckt. C14-Datierungen ausgewählter Skelette dokumentieren Bestattungsvorgänge über einen Zeitraum vom frühen Hochmittelalter (ab dem 10. Jahrhundert) bis in die frühe Neuzeit (bis 1745), obwohl es dazu keinerlei historische Überlieferung gibt. Zahlreiche Gräber konnten den unterschiedlichen Bauphasen der Kirche zugeordnet werden, wobei sich der frühhochmittelalterliche Zeithorizont mit einer Mindestindividuenzahl von 77 als Hauptbelegungsphase darstellte. Einige Areale wurden innerhalb einer Nutzungsphase wiederholt für Bestattungen genutzt, sodass es zu einer starken Störung der älteren Gräber kam.

Bei den archäologischen Grabungen wurden unerwartet viele Bestattungen, darunter zahlreiche Feten- und Säuglingsbestattungen, entdeckt.
Foto: Land Niederösterreich

Außergewöhnlich ist die Sterbealtersverteilung der am Michelberg Bestatteten: Von insgesamt mindestens 222 Individuen waren nur 21 erwachsen. Bei der überwiegenden Mehrheit der geborgenen Skelette handelt es sich um um den Zeitpunkt der Geburt verstorbene Kinder. Aber auch Frühgeburten mit einem Alter von weniger als sieben Lunarmonaten wurden auf dem Michelberg kirchennah bestattet.

Wenngleich die Kindersterblichkeit im Mittelalter sehr hoch war – Schätzungen zufolge starb die Hälfte der Lebendgeborenen bereits im Kleinkindalter –, entspricht die hier beobachtete Bevölkerungszusammensetzung hinsichtlich des Sterbealters keiner natürlichen Struktur eines ländlichen Friedhofs. Vielmehr ergibt sich der Eindruck, dass vor allem ausgewählte Erwachsene (überwiegend Männer) und Neugeborene auf dem Michelberg bestattet wurden. Auch wenn die genauen Umstände beziehungsweise Beweggründe der Bewohner von Haselbach, gerade diese Kinder und Erwachsenen nicht in der Ortschaft zu bestatten, heute nicht mehr in Erfahrung gebracht werden können, sind die Gräber am Michelberg ein einzigartiges Beispiel für den fürsorglichen Umgang mit verstorbenen Frühgeburten und Kleinkindern. (Paul Mitchell, Elisabeth Rammer, Andrea Stadlmayr, Margit Berner, 31.1.2019)