Videoeinspielungen in der Reha-Klinik: Damit kann Regisseur Dmitri Tcherniakov das Pariser Publikum nicht überzeugen. Obwohl er in seiner Produktion für das Palais Garnier auf erstklassige Sänger setzt.

Foto: Vicent Potent/OnP

Ein Fazit der jüngsten Premiere an der Pariser Bastille-Oper: die Wiener können sich auf Philippe Jordan als avisierten Chef im Graben der Staatsoper freuen. Wie der smarte 44-jährige Schweizer die Moderne beherrscht, demonstrierte er bei der Uraufführung von Michael Jarrells Bérénice zur Saisoneröffnung mustergültig – im Palais Garnier.

Für den Musikchef der Pariser Oper gehören natürlich auch Prunkstücke der Operngigantomanie, also der Grand opéra, von Amts wegen zum Kerngeschäft. Dass die Neuproduktion von Hector Berlioz’ Les Troyens jetzt zu einem musikalischen Triumph geriet, war vor allem ihm zu verdanken. Mit großer Souveränität und Umsicht, mit Sinn fürs Detail und dem aufrauschenden Ton.

Weil die Bastille vor 30 Jahren mit den Trojanern ihren regulären Spielbetrieb aufnahm, setzten die sich heuer quasi von selbst aufs Programm. Als Jubiläums-Chefsache mit handverlesenen Protagonisten. Stéphanie d’Oustrac überstrahlte als verzweifelt hellsichtige Cassandre den ersten Teil. Da Elina Garanča ihre Didon "aus gesundheitlichen Gründen" zurückgelegt hatte, konnte jetzt Ekaterina Semenchuk in der königlichen Partie glänzen.

Als Trojaneranführer Énée bewies Brandon Jovanovich (wie schon in Wien) angenehm timbriert sein tenorales Stehvermögen. Die beiden machten das große Liebesduett – wie zu erwarten – zum vokalen Höhepunkt.

Penible Regiearbeit

Dass der im Westen reüssierende Russe Dmitri Tcherniakov einen Buhsturm für seine Regie abbekam, lag nicht an seiner wie immer peniblen Detailarbeit. Es lag wohl am zweiten Teil des Abends. Denn die aus ihrer Heimat vor der tückischen Kriegslist der Griechen geflohenen Trojaner landen nicht im gastfreundlichen Karthago, sondern in einer Rehaklinik für psychotraumatische Störungen.

Im ersten Teil hatte der Regisseur als sein eigener Bühnenbildner noch auf eine imponierende, kriegslädierte Stadtlandschaft gesetzt. Die sah mehr nach dem modernen Beirut unserer jüngeren Vergangenheit, als nach dem antiken Troja aus. Mit laufend eingeblendeten Breaking News in Französisch und Englisch wird die Geschichte glasklar erzählt. Da braucht’s nicht mal das Riesenpferd. So weit so gut.

In Aix-en-Provence hatte Tcherniakov auch Carmen in eine ähnliche Reha-Einrichtung geschickt, der Story damit eine neue Dimension verpasst und fasziniert. In Paris verkleinert dieser Zugang die Geschichte aber. Königin(sein) wird hier zum Krankheitsbild. Narbal (Christian Van Horn) und Anna (Aude Extrémo) avancieren zu Obertherapeuten – alle anderen sind traumatisierte Patienten.

Damit kam Tcherniakov bei aller Liebe zum Detail weit vom Wege ab. Nach dieser Reha wird die Oper zum Patienten. (Joachim Lange, 31.1.2019)