Donald Trump (hier beim Gipfeltreffen mit Wladimir Putin im Sommer 2018) will kompromisslose Härte signalisieren.

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Folgt man Mike Pompeo, dann ist es höchste Zeit, die Dinge beim Namen zu nennen. Russland verstoße schon seit Jahren gegen den INF-Vertrag, argumentiert der amerikanische Außenminister. Man werde nicht länger zulassen, dass es dies tue, ohne die Konsequenzen zu spüren. Wie die Konsequenzen aussehen, hat Pompeo am Freitag bei einem rhetorisch aufs Allernötigste beschränkten Auftritt im State Department umrissen.

Erstens: Ab Samstag fühlen sich die Vereinigten Staaten nicht mehr an den Vertrag über die Intermediate Nuclear Forces gebunden, mit dem Ronald Reagan und Michail Gorbatschow 1987 eine komplette Waffengattung verboten haben: bodengestützte Raketen und Marschflugkörper mit Reichweiten zwischen 500 und 5.500 Kilometern. Zweitens: Falls der Kreml Raketensysteme, mit denen das Weiße Haus die INF-Bestimmungen unterlaufen sieht, nicht binnen sechs Monaten verschrottet, ist der Ausstieg aus dem Abkommen besiegelt.

Die Pressekonferenz von Außenminister Michael Pompeo in Washington.
CNN

Pompeo sprach von einem Druckmittel, das Russland hoffentlich zum Einlenken bringe. Er dankte den europäischen Verbündeten, die sein Land unterstützten, zumal auch sie auf das rechtsstaatliche Prinzip Wert legten, nach dem zu erfüllen ist, wozu man sich einmal verpflichtet hat. "Die Solidarität spiegelt die historische Stärke und die Einheit der Nato-Allianz", lobte der Republikaner aus Kansas – ein Satz, wie man ihn in Donald Trumps Washington schon länger nicht mehr gehört hat. Pompeo, kann man sagen, versuchte zumindest ansatzweise, nicht nur die Rolle des Chefdiplomaten zu spielen, sondern auch die eines Fürsprechers starker transatlantischer Bande.

Dass Trump die Akzente anders setzt, machte er am selben Tag in einer kurzen Erklärung deutlich. Deren Schlüsselsatz: "Wir können nicht das einzige Land auf der Welt sein, das einseitig durch diesen Vertrag – oder irgendeinen anderen – gebunden ist." Er träumte von einem neuen Abkommen, hoffte, "dass wir alle in einen großen und wunderschönen Raum zusammenbringen können", um einen "neuen, viel besseren Vertrag" zu erzielen.

America-first-Politik

Da war er wieder, der Präsident, der in den internationalen Abmachungen der letzten Jahrzehnte eine Serie von Deals sieht, die Amerikas Spielraum eingrenzten, während andere sich ins Fäustchen lachten. Und der seinen Vorgängern im Oval Office ankreidet, anderen so ziemlich alles durchgehen zu lassen, bis der Rest der Welt – in Trumps Diktion – über Amerika nur noch lachte.

Tatsächlich hat schon das Kabinett Barack Obamas der russischen Seite Vertragsverletzungen vorgeworfen. Indem sie einen neuen Marschflugkörper entwickle, nach Erkenntnissen von US-Geheimdiensten mit einer Reichweite bis zu 2.500 Kilometern, verstoße sie sowohl gegen den Geist als auch gegen die Paragrafen der INF-Abmachung, hieß es damals.

Obama hielt dennoch an der Vereinbarung fest, weil er die Sorgen der Alliierten in Europa verstand, deren Angst vor einem neuen atomaren Wettrüsten. Trump, der nicht dazu neigt, Rücksicht auf die Europäer zu nehmen, sieht das anders. Er will kompromisslose Härte signalisieren, nicht nur gegenüber Russland, sondern auch mit Blick auf China, den großen Rivalen des 21. Jahrhunderts.

Historischer Meilenstein

An einem Vertrag festzuhalten, den die Gegenpartei ignoriere, wäre die falsche Botschaft an die Adresse künftiger Vertragspartner, sagt Ian Williams, Abrüstungsexperte am Center for Strategic & International Studies, einem Thinktank in Washington. Vor falschen Signalen warnt auch Ex-Außenminister George Shultz, nur dass er den Hardlinern im entscheidenden Punkt widerspricht. Shultz war dabei, als Reagan und Gorbatschow 1986 in Reykjavík die Weichen in Richtung Annäherung stellten. Das daraus resultierende INF-Abkommen nennt er einen historischen Meilenstein. Auch weil Washington und Moskau damals darin übereinstimmten, dass am Ende eines langen Prozesses die Vernichtung aller Atomwaffen stehen müsse.

"Es besteht die Gefahr, dass wir im Bemühen, den Kalten Krieg zu beenden, auslöschen, was wir erreicht haben", mahnte Shultz in einem mit Gorbatschow verfassten Gastbeitrag für die Washington Post. Die Lösung könne nur sein: reparieren, was an dem Vertragswerk zu reparieren ist – in der Absicht, es zu bewahren. (Frank Herrmann aus Washington, 1.2.2019)